© Kevin Becker

Hartogh, Theo / Hans Hermann Wickel

Investition in die Zukunft

Chancen und Perspektiven der Musikschularbeit in Kooperation mit Alteneinrichtungen

Rubrik: Musikschule
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 32

Musikschulen können in Alteneinrich­tungen attraktive Kooperationspartnerinnen finden. Die Erfahrungen vieler Musikschulen zeigen, dass sich hier für beide Seiten ein interessantes und innovatives Arbeitsfeld eröffnet, in dem sich junge und alte Menschen begegnen, um gemeinsam zu musizieren.

Musikschulen haben schon längst ältere SchülerInnen als Klientel entdeckt. Explizit nimmt der Verband deutscher Musikschulen in seiner Potsdamer Erklärung „Erwachsene und Senioren als verschiedene Zielgruppen mit jeweils spezifischen Bedürfnissen“ in den Blick. Er reagiert damit auf einen gesamtgesellschaftlichen Trend, da es eine zunehmende Nachfrage der größer werdenden Zahl Älterer nach Bildungsangeboten gibt. Susanne Keuchel und And­reas J. Wiesand konnten auf der Basis ih­rer Daten aus einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zum Kulturverhalten Älterer prognostizieren, dass das Interesse der Generation 50+ für künstlerische Tätigkeiten auf mittlere Sicht dazu führen könnte, dass kulturelle Bildungseinrichtungen trotz des demografischen Wandels optimal ausgelastet sind.1 Schaut man sich die Entwicklung der Schülerzahlen 60+ an den Musikschulen des VdM an, wird diese Entwicklung bestätigt: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der SchülerInnen dieser Altersgruppe nahezu verfünffacht; ein Zuwachs, der in keiner anderen Altersgruppe zu verzeichnen ist.2
Erfasst sind hier die mobilen SeniorInnen, die die Musikschule besuchen und vielfältige Einzel- und Gruppenangebote wahrnehmen. Aber wie sieht es aus mit Musikinteressierten in Alteneinrichtungen, für die eine Bringstruktur erforderlich ist? Der Deutsche Musikrat forderte 2007 in seiner Wiesbadener Erklärung, dass Musik in der Altenpflege und sozialen Altenarbeit „verstärkt eingesetzt werden“ soll und „Möglichkeiten des individuellen und gemeinsamen Musizierens in allen Wohnbereichen, somit auch in Einrichtungen für ältere Menschen“3 in den Blick zu nehmen seien. Analog empfiehlt der VdM in seiner Potsdamer Erklärung Kooperationen und Vernetzungen mit Sozialeinrichtungen, um „auf neue Zielgruppen mit musikalischen Angeboten zuzugehen“.4
Wolfhagen Sobirey konnte 2013 in einer Umfrage unter den Mitgliedsschulen des VdM die Umsetzung der genannten Forderungen aufzeigen. Die Hälfte der 405 beteiligten Musikschulen konnte von Angeboten in Alteneinrichtungen berichten, wobei Auftritte von SchülerInnen den größten Anteil hatten.5

Blitzumfrage

Die Auswertung einer Blitzumfrage der Bundesgeschäftsstelle des Verbands deutscher Musikschulen im Dezember 2020 unter 119 Mitgliedsschulen, die mit einer Alteneinrichtung kooperieren, ergab – bei einem Rücklauf von 42 Antworten, sodass hier nur von Tendenzen ausgegangen werden kann –, dass diese Zusammenarbeit zu 29 % auf mündlichen Vereinbarungen basiert, bei 37 % schriftliche Kooperationsverträge vorliegen und es bei 27 % Einzelverträge gibt (Rest: keine Angaben). Die Finanzierung bei diesen Kooperationen erfolgt zu 42 % durch den Etat der Alteneinrichtungen, zu 14 % durch Fördervereine, zu 11 % durch Stiftungen und zu 11 % durch Entgelte der teilnehmenden Akteure. Es werden auch die Stadt bzw. Lions­clubs und Rotarier als Geldgeber erwähnt.
Das Singen und Musizieren findet überwiegend in Gruppen statt (48 %) – wie Singkreis, Musizierkreis (hier werden häufig Tischharfen eingesetzt), Tanzrunde oder Chorangebot. Zu 16 % sind diese Angebote auch generationsübergreifend, also z. B. mit Kindern der Musikalischen Früherziehung oder Grundschulkindern. Gelegentlich nutzen die Musikschulen auch die Einrichtungen als Aufführungsorte für Konzerte ihrer SchülerInnen, Lehrkräfte oder Musikschulensembles, genannt wurde etwa eine Band aus dem Erwachsenenunterricht. Der Einzelunterricht macht 10 % aus, daneben werden noch unspezifisch Projekte benannt, ebenso musiktherapeutische Angebote.
Ungefähr ein Drittel der Angebote kommt aus dem Bereich der Elementaren Musikpädagogik. Das Wirken weitergebildeter MusikgeragogInnen macht 19 % aus, ebenso sind die Instrumental- und Gesangslehrkräfte mit 28 % und musiktherapeutische Fachkräfte mit 15 % beteiligt. Darüber hinaus gibt es auch Rhythmikangebote.6
Ideal sind Mischfinanzierungen, z. B. stellt die Musikschule die Lehrkraft, die Alteneinrichtung eine Betreuungskraft; oder die Personalkosten kommen aus dem Budget der Musikschule, die Materialien und Ins­trumente aus dem Budget der Alteneinrichtung. In der Blitzerhebung des VdM wird weiterhin hervorgehoben, dass das mu­sikgeragogische Engagement der Musikschulen ein hohes soziales Ansehen in den Gemeinden zur Folge hat und dies auch ein Pluspunkt darstellt, wenn es zum Beispiel um Zuschussanträge in anderen Bereichen geht. Die Erfahrungen, die die Mu­sikschulen zurückmelden, sind ausgesprochen positiv bis sehr positiv (81 %).

Beispiele für Kooperationen

Wie können solche Kooperationen angelegt sein? Die Musik- und Kunstschule Bruchsal bietet beispielsweise im Ev. Altenzent­rum Bruchsal ein niederschwelliges und inhaltlich offenes Angebot an. Es orientiert sich ohne ein festes Curriculum an den Bedürfnissen der Beteiligten und nutzt alle gängigen Methoden der Elementaren Musikpraxis (Singen, Instrumentalspiel, Mitspielsätze, Improvisation, Musikhören, Tänze im Sitzen, Bewegungslieder…), um auch BewohnerInnen mit kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen erreichen zu können.
Die Musikschule Ismaning ist offen für „Angehörige aller Bevölkerungsschichten, aller Generationen und Nationen“7 und kooperiert seit 2008 mit dem ortsansässigen AWO-Seniorenzentrum Bürgerstift Ismaning, um dort „interaktives Musizieren“ anzubieten. Markus Adam versteht die Kooperation „nicht nur als Kostenpunkt in der Bilanz […], sondern auch als Investi­tion in die Zukunft, sowohl für die Alteneinrichtungen als auch für die Musikschulen“.8 Das kann auch bedeuten, erst einmal in Vorleistung zu gehen; wenn die Angebote gut laufen, erhöhen sich die Chancen auf eine finanzielle Förderung.
Selbstverständlich unterhalten auch Musikschulen in privater Trägerschaft Kooperationen mit Alteneinrichtungen. Eine enge Beziehung besteht zum Beispiel seit Jahren zwischen der Musikschule Havixbeck im Münsterland und dem Altenheim Marienstift Droste zu Hülshoff. Mit Hilfe einer Spendenaktion konnte ein Klavier für das Heim angeschafft werden, auf dem die SchülerInnen der Musikschule üben und regelmäßig ihr Können bei Vorspielen präsentieren dürfen.9 Kerstin Jackson betont, dass in den Alteneinrichtungen bei diesen Darbietungen durch die Kinder keine große Erwartungshaltung und damit auch kein Erwartungsdruck herrscht, sondern in erster Linie Freude und Dank. Auch für die Kinder ist es eine schöne und nachhaltige Erfahrung, wofür die Eltern auch gerne Extrafahrten und -termine in Kauf nehmen. Originalton einer Elfjährigen: „Wenn ich weiß, dass ich den älteren oder kranken Menschen eine Freude machen kann, macht auch das Üben mehr Spaß.“10
Selbstverständlich werden in manchen Mu­sikschulen auch die mittlerweile vertrauten BewohnerInnen von Alteneinrichtungen zu Konzerten erwartet, die dann „zum Teil mit Betreuung, ihren Gehhilfen und Rollstühlen, ganz selbstsicher vor der Bühne ihren reservierten Platz“ einnehmen oder beispielsweise anlässlich des bundesweit stattfindenden „Tages der Musik“ bei einem in der Musikschule organisierten Drum Circle mitwirken.11 Andere Musikschulen bieten musikalische Gruppenangebote an und können im Gegenzug Räume der Alteneinrichtung für den Instrumental- und Gesangsunterricht nutzen.12

Gelingensbedingungen

Für eine erfolgreiche Kooperation sollte die Leitung der Musikschule von den Angeboten überzeugt sein, sie unterstützen und in engem Kontakt zur Leitung der Alteneinrichtung stehen. Vor Ort sollten MitarbeiterInnen vom Sozialen Dienst oder aus der Pflege die Musiklehrkräfte unterstützen.
Je nach der Größe der Gruppe und der Schwere eventueller Beeinträchtigungen, Krankheiten oder Behinderungen der Teilnehmenden bietet es sich an, die Musizierstunden nicht allein, sondern im Team durchzuführen, damit immer jemand assistierend zur Seite stehen kann, vor allem bei unvorhergesehenen Ereignissen wie akuten Pflege- oder Betreuungsmaßnahmen. Als besonders hilfreich hat es sich auch erwiesen, wenn die Musiklehrkräfte vor der ersten Durchführung ihrer Angebote in der angestrebten Alteneinrichtung hospitieren, um die genauen Rahmenbedingungen und die potenziellen zukünftigen Mitmusizierenden kennenzulernen, sich mit dem Personal bekannt zu machen und um zukünftige Unterstützung zu werben. Oft ist in den Einrichtungen keine ­Instrumentenausstattung vorhanden, sodass entweder jedes Mal Instrumente von der Musikschule mitgebracht oder deponiert werden. In vielen Alteneinrichtungen werden jedoch nach dem erfolgreichen Anlaufen der Musikangebote Instrumente angeschafft. Hier bietet es sich an, nach Sponsoren Ausschau zu halten (z. B. Fördervereine, die Stiftungen der Banken und Sparkassen, Lionsclub und Rotarier, Unternehmen und Geschäfte vor Ort).
Für eine gute Publicity sind viele Förderer bereit, sich regional einzubringen. Grundsätzlich stellt eine gute Öffentlichkeits­arbeit einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar, damit die Musikschule als professionelle Bildungspartnerin wahrgenommen wird und bessere Chancen auf kommunale Förderung bestehen.
Von einer Kooperation profitieren beide Partner: Die Musikschulen gewinnen eine neue Klientel, die z. B. auch in den Vormittagsstunden unterrichtet werden kann, in denen die Räume meistens frei sind (wenn die Musikschule nicht in einer allgemeinbildenden Schule untergebracht ist) bzw. die Lehrkräfte keinen Unterricht erteilen können, weil ihre SchülerInnen in der Schule sind. Und für die Lehrkräfte eröffnet sich ein interessantes Arbeitsfeld mit einer neuen Altersgruppe. Die Musikschulen können sich im Gemeinwesen als kommunale Bildungspartnerinnen präsentieren, die im Sinne des lebenslangen Lernens und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels alle Altersgruppen ansprechen und Begegnungen für Generationen schaffen.
Für die Alteneinrichtungen stellen musikgeragogische Angebote ebenfalls einen Profil- und Imagegewinn dar. Sie ermöglichen ihren BewohnerInnen die Förderung und den Erhalt persönlicher (musikalischer) Kompetenzen, kulturelle Teilhabe und soziale Kontakte zu Gleichaltrigen, aber auch zu den jüngeren Musizierenden der Musikschulen. Benefits sind darüber hinaus die Förderung einer positiven Atmosphäre in der Einrichtung und der Zufriedenheit der MitarbeiterInnen, die sich auch – zum Teil an Musikschulen – musikalisch weiterbilden, um Musik im Betreuungs- und Pflegealltag zu integrieren.13

Aus- und Weiterbildung

Für eine professionelle Arbeit sollten die Musiklehrkräfte neben den musikalischen Kompetenzen auch über ein Grundwissen zur Arbeit mit der Zielgruppe verfügen. In etlichen Studiengängen der Elementaren Musikpädagogik sind musikgeragogische Inhalte fester Bestandteil der Lehre. Die Fachhochschule Münster hat 2004 in Kooperation mit Partnern wie Landesmusikakademien und Landesverbänden der Musikschulen eine hochschulzertifizierte Weiterbildung „Musikgeragogik“ ins Leben gerufen, in der ein multidisziplinäres Team an verschiedenen Standorten in Deutschland Inhalte wie die Musikschularbeit in Alteneinrichtungen vermittelt. Informationen unter www.musikgeragogik.de

1 Susanne Keuchel/Andreas J. Wiesand: Kultur­Barometer 50+ „Zwischen Bach und Blues“, Bonn 2008, S. 119.
2 Deutsches Musikinformationszentrum: Schülerzahlen und Altersverteilung an Musikschulen im VdM, 2019, www.miz.org/downloads/statistik/5/05_Schuelerzahl_Alterverteilung_Musikschulen.pdf (Stand: 3.5.2021).
3 Deutscher Musikrat: Wiesbadener Erklärung. Musizieren 50+ – im Alter mit Musik aktiv. 12 Forde­rungen an Politik und Gesellschaft, 2007, S. 7, www.musikrat.de/fileadmin/files/DMR_Musikpolitik/Musizieren_50_/DMR_Wiesbadener_Erklaerung.pdf (Stand: 3.5.2021).
4 Verband deutscher Musikschulen (VdM): Potsda­mer Erklärung. Musikschule im Wandel. Inklusion als Chance, 2014, S. 2, www.musikschulen.de/ medien/doks/vdm/potsdamer_erklaerung_inklusionspapier.pdf (Stand: 3.5.2021).
5 Wolfhagen Sobirey: Umfrage zu Angeboten für Ältere an Musikschulen des VdM. Mündliche Präsentation der Umfrageergebnisse anlässlich der Tagung „Musik ein Leben lang“ des Kompetenzzentrums für Kultur und Bildung im Alter im Institut für Bildung und Kultur e. V. und des Verbands deutscher Musikschulen am 5. Juni 2014 in Dortmund.
6 Stefan Heitz: „Mehr als Sturzprävention. Senio­renrhythmik nach Dalcroze – der Club InTakt im Seniorenheim Maria-Martha-Stift Lindau“, in: Hans Hermann Wickel/Theo Hartogh (Hg.): Musik­geragogik in der Praxis. Alteneinrichtungen und Pflegeheime, Münster 2020, S. 113-122.
7 Markus Adam: „Kooperationen der Musikschule Ismaning mit regionalen Alteneinrichtungen“, in: Wickel/Hartogh, Musikgeragogik in der Praxis, Münster 2020, S. 53.
8 ebd., S. 58.
9 Hiltrud Hollenhorst/Renate Münstermann/ Tobias Vormann: „,Musik ist Leben – Leben mit Musik‘. Das musikalische Profil des Marienstifts Droste zu Hülshoff in Havixbeck“, in: Wickel/Hartogh, Musikgeragogik in der Praxis, Münster 2020, S. 50.
10 Kerstin Jackson: „Intergenerative Musikschulangebote in Kooperation mit Kommune und Seniorenheim“, in: Hans Hermann Wickel/Theo Hartogh (Hg.): Musikgeragogik in der Praxis. Musikinstitutionen und freie Praxis, Münster 2019, S. 71.
11 ebd.
12 Weitere Praxisbeispiele für Kooperationen zwischen Musikschulen und Alteneinrichtungen finden sich in: Hans Hermann/Theo Hartogh (Hg.): Musik­geragogik in der Praxis. Alteneinrichtungen und Pflegeheime, Münster 2020.
13 Anke Franke: „Der Weg zum klingenden Haus beginnt mit dem ersten Ton“, in: Wickel/Hartogh, Musikgeragogik in der Praxis, Münster 2020, S. 40.

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