Plaesser, Thilo
it came out of the blue
Anleitung zur Klavierimprovisation
Verschiedene Richtungen der Avantgarde greifen heute Improvisationspraktiken wieder auf. Der Titel der vorliegenden Veröffentlichung lässt vor allem eine Anleitung zur Jazzimprovisation erwarten. Im Vorwort begründet der Autor wortreich und weit ausholend seine Intentionen. Hinweise für Klavierlehrer und „10 Gebote“ des Übens sind vernünftig und praxisnah.
Schaut man sich nun Aufbau, Inhalte, Aufgabenstellungen und Beispiele näher an, dann ist man doch sehr enttäuscht. Die Erwartung auf eine Anleitung zur Jazzimprovisation wird nicht erfüllt. Die Entscheidung, anhand von immer wiederkehrenden bekannten Liedern wie Scarborough Fair und Greensleeves Improvisation zu lernen, wäre richtig, wenn es um Veränderung der Melodie ginge, wie im Jazz üblich. Plaesser aber zielt im ganzen Band auf Improvisationen mit wechselnden Harmonien. Das bedeutet eine sehr hohe Anforderung an Laien und Anfänger. Methodisch lassen elementare Fehlentscheidungen nur Frustration aufkommen. Vernünftigerweise würde jeder Lehrer mit Bordun-Stimmen, leichten Ostinati und elementaren Akkord-Verbindungen in der linken Hand beginnen, zu denen in der rechten vorsichtig, z. B. mit fünf Tönen improvisiert werden könnte.
Auch Plaesser bringt Ostinati, aber erst im Kapitel 7 auf Seite 65, wobei nicht etwa darüber improvisiert wird, sondern der Schüler bzw. die Schülerin selbst welche erfinden soll (die gegebenen Beispiele sind kompliziert und bei einer Improvisation kaum durchzuhalten). Der Autor beginnt seine Anleitung mit Improvisationen mit isolierten Intervallen. Wie auch alle anderen Phänomene (modale Skalen, erweiterte Skalen, Motiv, Thema, Rhythmus, Form etc.) werden die Intervalle rein mechanisch von Prim bis None vorgestellt, ohne grundlegende didaktisch-methodische Prinzipien zu berücksichtigen. Aber auch theoretisch ist die Einführung nicht korrekt: Groß/klein, vermindert/übermäßig, vertikale und horizontale Punktion als Kriterien fehlen.
Von den Lernenden wird verlangt, jeweils nur mit einem einzigen Intervall zu improvisieren, aber auch Lieder zu begleiten. Sekundklänge werden beliebig aneinander gereiht, tonale Lieder mit chromatischen Sekundklängen begleitet, was parodistisch und unfreiwillig komisch wirkt. Ähnlich verfährt Plaesser bei allen anderen Intervallen. Die Aufgabenstellungen sind zum Teil absurd: „Spiele die Skalen transponiert ,wild‘ durcheinander, etwa so: dorisch von a, lydisch von es, mixolydisch von fis usw.“ Die Kapitel „Improvisation mit Eric Satie“ und „Farbige Improvisation“ (es geht um die Beziehung Musik/Malerei) sind auf wenig Seiten kaum sinnvoll zu behandeln. Hier wurde eine große Chance vertan. Als hilfreiche und motivierende Anleitung zur Improvisation ist der Band ungeeignet.
Otto Junker