Hellhund, Herbert
Jazz
Harmonik, Melodik, Improvisation, Analyse
Das inhaltliche Terrain, das hier jeweils beschrieben, bearbeitet und transparent gemacht wird, mag durchaus vergleichbar, wenn auch nicht deckungsgleich sein. Bezogen auf Anspruch und Aufbau, Umfang und Schwerpunktsetzung indes fallen die beiden vorliegenden Veröffentlichungen denn doch denkbar unterschiedlich aus. Während es sich bei Rock & Jazz Harmony von Mathias Löffler um ein Arbeitsbuch und Nachschlagewerk handelt, also ein eher enzyklopädisch-umfangreicher Ansatz ins Werk gesetzt ist, so folgt Herbert Hellhunds Jazz in seiner komprimierten Darstellung, die einen entschiedenen Fokus auf Improvisation setzt, eher einer phänomenologischen Herangehensweise. Je nach Interessenlage – so viel vorweg – wartet jeweils eine durchweg lohnende Lektüre.
Der Band von Herbert Hellhund eröffnet einen ebenso anspruchsvollen wie pragmatischen Einstieg in das Analysieren von Jazz, hier insbesondere der Improvisation als dessen hervorragendem Praxismerkmal. Auf die Frage, wie das rasend schnelle Finden und bruchlose Umsetzen musikalischer Ideen in Improvisation überhaupt möglich sei und wodurch der Eindruck eines inneren Zusammenhangs bei fortwährend spontan generierten Ideen entstehen könne, weiß der Autor in seiner Darstellung erhellende Antworten zu geben.
Die einführenden Kapitel stellen zunächst in denkbar konzentriertem Duktus zusammen, was als Wissensfundament, als analytisches Rüstzeug in Sachen musikalische Parameter, Skalen, Akkorde und jazzharmonische Grundlagen (differenziert nach Jazzstilen) gelten kann. Das zentrale Kapitel „Strukturmittel der Improvisation: Konzepte und Materialien“ präsentiert dann ein anregungsreiches Spektrum sehr konkreter Improvisationsstrategien; z. B. rhythmisch-intervallische Durchbrechung, das „Tarnen“ von Skalen; Additions- und Substraktionsverfahren in der Gestaltung von melodischen Bögen, Akzentuierungsabstufungen, das heißt Sicherung einer internen Logik innerhalb von Jazz Lines und vieles mehr.
Weil aber viele gute Details noch nicht das Gelingen des Ganzen garantieren, unterstreicht Hellhund zusammenfassend den Stellenwert improvisationsdramaturgischer Planung für eine fesselnde Gesamtaussage – gemäß des Credos von Lester Young: „Tell a Story!“ Vervollständigt wird dies alles durch eine ganze Reihe von Improvisationsanalysen aus dem Bereich des Modern Jazz.
Fazit: Begriffliche Klärung und Praxis-Anleitung, theoretische Grundlagen und hochkomplexe Analysen – durch und durch überzeugend das eine wie das andere. Und, ohne dass damit das Faszinosum entwertet, das Uneinholbare jeder gelingenden Improvisation eingeholt würde: Es will dies alles verstanden sein als Voraussetzung für „wissendes“ Hören und „ganzheitliches“ Verstehen von Jazz bzw. Gestalten eigener Improvisation. Uneingeschränkte Lektüre-Empfehlung also für Jazz-Hörende und Jazz-Praktizierende gleichermaßen.
Gunther Diehl