Stevens-Geenen, Andreas

„Jeder Gitarrist verrät im Klang etwas, das ihm eigen ist“

Gezupft oder geschlagen? – Historische Quellen zu aktuellen Qualen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 1/2021 , Seite 44

Orientiert man sich an diesem Credo, das der Tárrega-Schüler Emilio Pujol in seinem Lehrwerk formuliert,1 wird klar, wie wegweisend eine angemessene, unterrichtstaugliche Beschreibung dieses Spielvorgangs ist.
So stoße ich noch immer auf den Terminus zupfen, wenn es um die Tonerzeugung auf der Gitarre geht, und bin selbst als Fachleiter für Zupfinstrumente ständig mit dieser Wortschöpfung konfrontiert. Dabei schrecke ich immer noch zusammen, wenn mir das Z-Wort die Klangerzeugung auf der Gitarre näher bringen will. Schaut man in alte „Guitarren“-Lehrwerke, so ist man überrascht, mit welchen sprachlichen Eingebungen sich der interessierte Spieler hat anleiten lassen dürfen. Einige Beispiele möchte ich hier exemp­larisch anführen.
Simon Molitor verwendet 1812 in seinem Lehrwerk einen sorgsam formulierten Satz: „Die rechte Hand ist es, welche die Saite durch das Ausschnellen mit den Fingerspitzen erklingen macht.“2 Dazu ergänzt er warnend, die Finger nicht zu stark zu krümmen, „damit die Saiten nicht, anstatt mit dem weichen Theil der Fingerspitzen mit den Nägeln gerissen werden“.3
Möglicherweise war in Wien der Begriff Ausschnellen üblich, denn auch Franz Bathioli verwendet ihn in seiner Gemeinnützigen Guitareschule. So heißt es dort: „Schnellt man die den drei Fingern anvertrauten Saiten ein- und zugleich etwas aufwärts ab“… Doch Obacht: „dabei muss man sich hüten, die Saiten mit den Nägeln zu streifen“.4
Wenden wir uns von Wien ab und schauen in ein Berliner Lehrwerk. Carl Blum schreibt 1818 in seiner Neuen vollständigen Guitarren-Schu­le mit leicht preußischem Unterton: „Was den Ton der Guitarre betrifft, so ist es des Ausübenden Pflicht, ihn so angenehm, rund und stark aus dem Instrument herauszuziehen, als nur möglich.“5 Auch Blum schlägt vor, dass man die Finger der rechten Hand „gelinde bügt“, um nicht Gefahr zu laufen, mit den Nägeln zu spielen.

1 Emilio Pujol: Theoretisch Praktische Gitarrenschule, 2. Band, S. 3.
2 Simon Molitor/R. Klinger: Versuch einer vollständigen methodischen Anleitung zum Guitare-Spielen, Faksimile-Nachdruck der Ausgabe von 1812, kommentiert und hg. von Stefan Hackl, Wien 2008, S. 15.
3 Besonders hat es mir auch Molitors Bezeichnung für den Steg angetan, bei ihm heißt dieses Teil „das Saitenfest“.
4 Franz Bathioli: Gemeinnützige Guitarreschule oder gründlicher und vollständiger Unterricht in der Kunst, die Guitare nach der neuesten Methode spielen zu lernen, nebst einer kurzen Anleitung zum Singen, Wien 1825, S. 27.
5 Carl Blum: Neue vollständige Guitarren-Schule, Berlin 1818, S. 9.

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