Summer, Mark

Julie-O

für Violoncello solo, revidierte Fassung, hg. von Mark Summer in Zusammenarbeit mitChris­tian Classen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ponticello Edition, Mainz 2009
erschienen in: üben & musizieren 3/2010 , Seite 63

Ein glattes Dutzend Versionen lässt sich bei youtube anklicken: Julie-O, gespielt von SchülerInnen, Studenten, Profis oder vom Meister selbst. Und Letzterem tut es keiner gleich in Sachen spiele­rische Virtuosität: Der Cellist Mark Summer gehört zu den Mitbegründern des Turtle Island Quartet, einer Streichquartettforma­tion, die gleichermaßen professionell wie sinnenfroh Crossover betreibt. Genauer: Musik kreiert und interpretiert, die sich in keine Schublade europäischen Stildenkens einordnen lässt, son­dern Elemente von Jazz, Funk, Latin, Pop und indischer Musik auf dem soliden Fundament der klassischen Tradition amalgamiert.
Im Zuge dieser musikalischen Expedition hat Mark Summer eine phänomenale Pizzicato- und Percussion-Technik entwickelt, die es ihm ermöglicht, die traditionsreiche Kniegeige in eine pri­ckelnde Kombination aus Jazz-Bass, Gitarre, Trommeln und Kas­­tagnetten zu verwandeln. Mark Summer und das in San Francisco beheimatete Turtle Island Quartet sind typische West Coast-Gewächse: Dort, wo sich nicht zufällig das Kronos Quartet und die Fusion-Band „Weather Report“ formierten, herrscht jener spielerisch-freie Geist, der es im alten Europa und selbst in New York gelegentlich schwer hat.
Eine Basis-Information für alle CellistInnen: Julie-O ist ein tolles Stück, es steht in D-Dur und geht nur an einer Stelle über die 4. Lage hinaus. Dennoch kann von leichter Spielbarkeit nicht die Rede sein, vielmehr werden dem Interpreten Qualitäten abverlangt, die in traditioneller oder auch zeitgenössischer Musik nicht vorrangig angesagt sind: die rhythmische Wendigkeit eines Jazzmusikers, ein Gefühl für „Groove“, die Fähigkeit, einen durchaus exakten Notentext präzis und zugleich so frei wiederzugeben, dass der Klangeindruck einer Improvisation entsteht.
Und man braucht noch mehr: eine flexible rechte Körperhälfte, die nicht nur den Bogen zu führen weiß, sondern auch für schnelle Pizzicati und Slaps (Schläge auf das Griffbrett, bevorzugt auf Off-Beats) einsatzbereit ist. Julie-O macht außerdem Gebrauch von Jazz-Spieltechniken, die im Notentext durch spezielle Zeichen dargestellt sind: Slides (schnelles An-Glissandieren einzelner Töne), Hammer-Ons (die linke Hand greift mit perkussiver Kraft Töne auf einer Saite, die zuvor durch reguläres Pizzicato in Schwingung versetzt wurde) sowie Ghost Notes, mit geringem Bogendruck an der Spitze zu spielen. Gegen Ende des Stücks findet sich eine nicht metrumgebundene Passage, die wahlweise auch durch eine regelrechte Improvisation ersetzt werden kann.
Gemeinsam mit dem Cellisten Christian Classen hat Mark Summer sein Stück einer Revision unterzogen. Angekündigt ist eine Version für zwei Celli, außerdem die Edition weiterer Werke von Mark Summer. Auf dessen lapidaren Wunsch: „I hope you enjoy it“, am Ende der Composer’s notes kann es nur eine Antwort geben: „Yes, we do!“
Gerhard Anders