Figdor, Helmuth

Keine Lust mehr

Von den Schwierigkeiten des Übens

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2014 , Seite 06

Das vorliegende Heft ist “schwierigen Schülern” und “schwierigen Eltern” gewidmet. Wenn wir von “schwierigen” Menschen sprechen, meinen wir ja genau genommen, dass andere im Umgang mit diesen Menschen Schwierig­keiten haben. In unserem Fall sind diese “anderen” die Lehrkräfte. Die Betroffenen, also die Schülerinnen und Schüler, müssen sich selbst ­keineswegs als schwierig erleben. Daher ist es schwer zu entscheiden, ob “Schwierig-Sein” nun tatsächlich eine Eigenschaft der Schüler oder ein ­(didaktisches?) Problem der Lehrer darstellt.

Schüler können für Lehrer aus verschiedenen Gründen schwierig werden: Weil sie keine Fortschritte machen, Stunden schwänzen, unkonzentriert sind, im Gruppenunterricht stören, das Vorspielen am Klassenabend verweigern, nicht im Ensemble spielen wollen, technisch stecken bleiben, sich zu wenig anstrengen weiterzukommen, unbeseelt, ohne Ausdruck musizieren usw.
Als ich darüber nachdachte, wie ich das Thema „Schwierige Schüler“ angehen könnte, fiel mein Blick auf den vertrauten Titel dieser Zeitschrift: üben & musizieren. Und mit einem Mal kam mir der Gedanke, dass es doch eigentlich bemerkenswert ist, dass eine „Zeitschrift für Instrumentalpädagogik und musikalisches Lernen“ mit ihrem Namen den Eindruck erweckt, als bestünde erstens der wesentliche Unterschied zwischen „bloßem“ Musizieren und pädagogisch geleitetem Musizieren im Üben; und zweitens, als wären Üben und Musizieren a priori unterschied­liche Tätigkeiten. Zwar verbindet das „&“ die beiden, verbinden muss man aber stets nur vorweg Getrennt-Gewesenes.
Wahrscheinlich verdankt sich der Name üben & musizieren einfach historischen Zufälligkeiten und/oder verkaufspsychologischen Überlegungen – hat also keinerlei Bedeutung für die zu behandelnden Inhalte. Aber Psychoanalytiker werden immer skeptisch, wenn es um angebliche Zufälle oder Bedeutungslosigkeiten geht. Sollte sich im Namen üben & musizieren – stillschweigend, unbemerkt – nicht vielleicht doch eine bestimmte pädagogische Einstellung verbergen? Und hat diese pädagogische Einstellung – ebenso stillschweigend, unbemerkt – nicht vielleicht ­einen großen Anteil daran, wenn musika­lisches Lernen und Lehren für Schüler und Lehrer schwierig wird oder gar scheitert? Allein: Um welche Art „pädagogischer Einstellung“ sollte es dabei gehen?
Jedenfalls beschloss ich, mich in meinem ­Artikel mit dem Üben zu beschäftigen, oder richtiger: mit den Schwierigkeiten von Lehrern mit Schülern, die nicht oder zu wenig üben. Und mit den Schwierigkeiten, die sich für Schülerinnen und Schüler ergeben, wenn ihre Übemotivation nicht den Vorstellungen ihrer Lehrkräfte entspricht. Zumal es sich dabei um ein Problem handelt, das in gewisser Weise zum Alltag jedes Instrumentallehrers und jedes Instrumentalschülers gehört – wenn auch natürlich in unterschiedlichem Ausmaß – und auch bei den meisten der oben aufgezählten Varianten „schwieriger Schüler“ eine große bis zentrale Rolle spielt.

I. Helmuth, Charlotte, Niko und Sabrina

Helmuth, oder: ein Engel aus Schweden
Zu meinem sechsten Geburtstag wünschte ich mir, Klavier lernen zu dürfen. Das „Stingl-Original“-Pianino, das meine Mutter in ihre Ehe mitgebracht hatte, war mir bis dahin vor allem ein vertrautes Möbelstück gewesen, da meine Mutter kaum je spielte. Außer zu Weihnachten: Da holte mein Vater seine Violine aus dem Geigenkasten und meine Mutter begleitete ihn. Mein Vater spielte ganz gut, tat das leider aber vor allem dann, wenn ich nicht dabei sein konnte: beim Heurigen1 mit seinen Geschäftsfreunden. Dann borgte er sich regelmäßig vom Primas der Zigeunerkapelle oder vom ersten Geiger des Schrammelquartetts2 dessen Instrument und spielte auf. Obwohl ich ihn also nur selten hörte, gehörten für mich Geige und mein Vater zusammen, und lange Zeit interessierte sie mich weit mehr als das mütterliche Klavier. Ich hatte eine Spielzeugvioline, die ich mit Gummibändern bespann, um ihr ein paar Zupf­töne zu entlocken.

1 typisches Wiener Vorstadtlokal, in dem ursprünglich nur der junge (heurige) Wein ausgeschenkt wurde.
2 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das von Johann Schrammel gegründete Quartett (zwei Geiger, Gitarre und Bandeon) unerhört populär. Die Musik, die sie spielten, wurde ebenso zum Inbegriff der „Wiener Musik“ wie die Walzer von Johann Strauß. Noch heute heißen die beim Heurigen in gleicher Besetzung spielenden Kapellen „Schrammeln“.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2014.