Rüdiger, Wolfgang
Ki quer KI
Eine Betrachtung
Wie setzen wir uns als MusikerInnen ins Verhältnis zur Welt, zur Kunst und zur Künstlichen Intelligenz?
KI und Musik
Kann KI Musik?1 Oder ist die soziale Praxis des Musikmachens eine Besonderheit von musizierenden Menschen wie z. B. PreisträgerInnen von „Jugend musiziert“? Eine Schar dieser Spezies konfrontierte die Moderatorin Katharina Herkommer bei einer Preisverleihung auf dem Bundeswettbewerb 2024 mit dieser Frage, indem sie zwei für sie produzierte Geburtstags-Audios vorspielte und zur Abstimmung stellte, welches berührender sei – ein geschickter Schachzug, um ins Thema Künstliche Intelligenz und intelligentes Instrumentalspiel einzuführen.
Beim ersten Geburtstagsgruß handelte es sich um einen KI-generierten Pop-Song, den eine softe Stimme singt: „Wir feiern heute nur für dich, du musikalische Kreatur […] in deinen Adern fließt das Herzblut […] das ist so gut, mit jedem Ton, den du triffst, berührst du unsere Seelen“. Gegenübergestellt wurde dem das Lied Happy Birthday, auf der Tuba eingespielt von einer Profi-Bratscherin nach wenigen Wochen Tubaunterricht, mit leicht flatternden Ansatz- und Blasgeräuschen. Allen im Plenum war sofort klar, welchem Beispiel der Vorzug zu geben sei: dem zweiten natürlich.
Warum? Weil das zweite Audio-Präsent ein echtes menschliches Geschenk ist, selbst gemacht und mit Entwicklungspotenzial, voll Freude für die Adressatin ebenso wie für diejenige, die das Lied eingeübt und aufgenommen hat, einzigartig, nicht wiederholbar, eine Gabe aus der Tiefe von Verbundenheit und Freundschaft. Der KI-Song hingegen lässt sich beliebig oft reproduzieren, er ist quasi „perfekt“: Intonation, Rhythmus, Linie, alles passt; es gibt keine Probleme mit Ansatz und Blastechnik – und doch berührt das Geschenk nicht: Es spricht von „Herzblut“ und „Seele“, hat aber keine.
Was zeigt sich an den beiden Beispielen, speziell und allgemein? Allgemein das Mega-Thema KI zwischen Hype (allgegenwärtig), Horror (Überwachung), Hilfe und Hoffnung (aktuell z. B. bei der Krebsbekämpfung). Und speziell ein Hörbarwerden der „kategorialen Unterschiede zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz“:2 beim Menschen eine musikalische Intelligenz aus der Tiefe leiblichen Erlebens und sozialen Eingebundenseins, bei der Maschine Datenverarbeitung, -kombination und -adaption gemäß Programmierung, die ebenfalls vom Menschen gemacht ist, der hinter jedem künstlichen System steht.
Vielleicht ist dieser Gegensatz aber zu kurz gegriffen, stellen sich doch beim Thema KI und Kunst noch grundsätzlichere Fragen wie die nach künstlerischer Produktion und Praxis allgemein, die durch KI neue Herausforderungen und Möglichkeitsräume erfährt,3 und nach einem möglichen Zusammenwirken von Mensch und Maschine im Sinne „dialogischer Beziehungen“,4 die es erlauben, neue ästhetische Wege zu beschreiten und ebenso rätselhafte wie „seltsam attraktive“ Musikwelten zu entwerfen, in denen beides produktiv zusammenspielt: künstlich-maschinelle und künstlerisch-menschliche Intelligenz, die in den individuellen und sozialen Strebungen und Strömungen des Lebens gründet.5
Für diese Energie gibt es im Japanischen einen Begriff, der genauso lautet wie das Kürzel für die Künstliche Intelligenz – das Ki –, aber etwas ganz anderes bedeutet: Luft, Atem, Atmosphäre, die im Kontext von Musik und musikalischer Bildung auf querständige Weise mit Künstlicher Intelligenz zusammengebracht und zusammen gedacht werden können.
KI
Ob KI „Kunst kann“, hängt davon ab, was man unter Kunst versteht. Das Lot etwas tiefer senkend, als dies in manchen Publikationen zur KI geschieht, folgen wir der weiträumigen Begriffsbestimmung von Bernhard Waldenfels: „Kunst ist ein Medium der Verwandlung, die mit dem beginnt, was uns sinnlich und leiblich widerfährt.“6 Von hier aus kann man klar sagen: Ohne Zusammenspiel mit Menschen kann KI keine Kunst schaffen. So segensreich die sogenannte Künstliche Intelligenz auf vielen Gebieten sein mag, so fehl am Platze scheint sie im Bereich von Kunst und Musik, wo sie dem Menschen nicht im Mindesten das Wasser der Kreativität reichen kann. Dies zeigt sich nicht nur am sterilen „Birthday-Song on demand“,7 sondern beispielsweise auch bei einem von ChatGPT generierten Songtext über das Wort „herzhaft“ à la Herbert Grönemeyer. Über „knusprige Kruste“ kommt die KI nicht hinaus, während Grönemeyer abgründig dichtet: „Nimm, nimm mich in die Herzhaft/ Lass mir keinen Schmerz nach“ – und auf Unsicherheit, Selbstzweifel, Verzweiflung als Quelle von Kunst verweist: „Auf Dauer wird sich immer das Unvollkommene durchsetzen […]. Schwäche lässt Verbindung zu, da docken wir Menschen untereinander an.“8
Kann „Schwäche“ nicht wenigstens in künstlich generierten Beispielen klassischer Musik wie der von einer KI auf Skizzenbasis errechneten und von „Experten“ orchestrierten 10. Sinfonie Beethovens vernehmlich sein?9 Nein, denn auch hier ist keine Absicht, kein Ausdruckswille, keine ästhetische Reflexivität und entsprechend keine Weiterentwicklung und „Verschiebung von Kunst selbst“ am Werk.10 Heraus kommt vielmehr eine „völlig sinnfreie Musik […] ohne jede Idee“,11 der gegenüber auch ein Werturteil sinnlos ist, kann die KI-Musik doch nicht einer Person mit Haltung zur Welt zugeschrieben werden.12
1 vgl. Buschmann, Renate: „Kann aus KI Kunst werden? Dialogische Beziehungen mit Künstlicher Intelligenz“, in: Schnell, Martin W./Nehlsen Lukas (Hg.): Begegnungen mit Künstlicher Intelligenz. Intersubjektivität, Technik, Lebenswelt, Weilerswist 2022, S. 164-173.
2 Fuchs, Thomas: Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie, Berlin 2020, S. 25.
3 vgl. Winter, Dorothea: KI, Kunst und Kitsch. Ein philosophischer Aufreger, Heidelberg 2024, S. 86.
4 so der Untertitel des Beitrags von Buschmann, „Kann aus KI Kunst werden?“, siehe Anm. 1.
5 vgl. Grüny, Cristian: „Seltsam attraktiv. KI und Musikproduktion“, in: Schnell/Nehlsen, a. a. O., S. 174-203, hier: S. 196 ff.
6 Bernhard Waldenfels in einer E-Mail vom 29. September 2020 an den Verfasser.
7 vgl. Grüny, „Seltsam attraktiv“, S. 175 ff.
8 Herbert Grönemeyer im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 23. März 2023, S. 17.
9 vgl. Grüny, „Seltsam attraktiv“, S. 175.
10 Mersch, Dieter: „Kreativität und Künstliche Intelligenz. Einige Bemerkungen zu einer Kritik algorithmischer Rationalität“, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, 2019, S. 65-74, hier: S. 73, https://doi.org/10.14361/zfmw-2019-210109 (Stand: 5.9.2024); vgl. auch Misselhorn, Catrin: Künstliche Intelligenz – das Ende der Kunst?, Ditzingen 2023, S. 135 f.
11 Felix Mayer in einer Arte-Dokumentation anlässlich der „Uraufführung“, zit. nach Misselhorn, Künstliche Intelligenz – das Ende der Kunst?, S. 32.
12 vgl. dazu Misselhorn, Künstliche Intelligenz – das Ende der Kunst?, S. 55.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2024.