Trump, Sebastian

KI trifft Improvisation

Wie Maschinen musikalische Partnerinnen werden können

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2024 , Seite 22

Wie kann KI nicht nur musikalische Muster reproduzieren, sondern auch als kreative Partnerin in Improvisa­tionen agieren? Der Artikel beleuchtet innovative Technologien und Projekte, die KIs in die Welt der Musik bringen, wo sie als interaktive und kreative Kräfte in Performances eingreifen.

Musikalische Improvisation als kreative Praxis erfordert Spontanität und Unmittelbarkeit, sie erzeugt Unvorhersehbares in Echtzeit. Dies alles sind Eigenschaften, die auf den ersten Blick eine große Herausforderung für Künstliche Intelligenz (KI) darstellen, da generative KI-Systeme typischerweise darauf ausgelegt sind, Musik ohne Zeitdruck zu komponieren. Die Integration von KI in die improvisatorische Praxis eröffnet neue Perspektiven, indem sie Maschinen ermöglicht, nicht nur vorgegebene Muster zu replizieren, sondern auch kreative Partnerinnen zu werden, die in Echtzeit auf musikalische Eingaben reagieren können. Diese Entwicklung könnte die Art und Weise, wie wir Musik verstehen und schaffen, grundlegend erweitern, indem sie neue Formen der musikalischen Interaktion und des kreativen Ausdrucks ermöglicht.

Menschlich-maschinelle Ko-Kreativität

Ein Beispiel für die Integration von maschinellem Lernen, einer wesentlichen Komponente von KI-Anwendungen, in künstlerische Performances ist die Arbeit der Musikerin Laetitia Sonami, die komplexe Sensorik in ihre Instrumente integriert und in Zusammenarbeit mit der Software-Entwicklerin Rebecca Fiebrink kreative Methoden des maschinellen Lernens nutzt.1 Sonami beschreibt ihre Beziehung zur Technologie als einen „Austausch“ zwischen ihr und dem Instrument, bei dem sie nicht ihre Absichten aufzwingt, sondern die Komposition und Aufführung von der Unvorhersehbarkeit der Maschine beeinflussen lässt. Dieses Szenario verdeutlicht die Idee der „musikalischen Cyborgs“,2 ein Begriff, der die Durchlässigkeit zwischen menschlicher und maschineller Kreativität betont und auf den Cyborg-Begriff der Ökofeministin Donna Haraway zurückgeht.3 Haraways Konzept beschreibt die Auflösung traditioneller Grenzen und könnte im musikalischen Kontext dazu beitragen, neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit und Innovation zu fördern.
Die Bewertung kreativer KI-Systeme, insbesondere solcher, die in Echtzeit mit Menschen musikalisch improvisieren, erfordert einen Ansatz, der über verbreitete KI-Methoden hinausgeht. Der berühmte Turing-Test,4 bei dem ein menschlicher Befrager entscheiden muss, ob er mit einem Menschen oder einer Maschine interagiert, basiert auf der Imitation menschlicher Verhaltensweisen und ist daher für die Evaluierung von Systemen, die auf echte Ko-Kreativität abzielen, nicht geeignet. Um das Potenzial einer ästhetischen Erweiterung durch KI auszuschöpfen, sollte nicht die Simulation menschlicher Kreativität im Vordergrund stehen, sondern die Erkundung authentischer maschineller Beiträge zur musikalischen Gestaltung.
Besonders problematisch im Sinne der Ko-Kreativität erscheint, dass der Turing-Test eine binäre Unterscheidung zwischen menschlichem und maschinellem Schaffen verlangt, was die kreative Leistung der KI in den Bereich der Täuschung rückt und damit ethische Fragen aufwirft. Die Herausforderung besteht darin, Bewertungsmethoden zu entwickeln, die die einzigartigen Aspekte der menschlich-maschinellen Interaktion erfassen und die kreativen Impulse würdigen, die aus dieser Zusammenarbeit entstehen.5 Dies könnte durch eine künstlerische Bewertungsmethode erreicht werden, die die Qualität der Interaktion und die von der KI bereitgestellten kreativen Impulse aus der Perspektive der beteiligten MusikerInnen beurteilt, nicht nur aus der Sicht des Publikums.

1 Fiebrink, Rebecca/Sonami, Laetitia: „Reflections on eight years of instrument creation with machine learning“, in: Proceedings of the international conference on new interfaces for musical expression, hg. von Romain Michon und Franziska Schroeder, Birmingham 2020, S. 237-242, www.nime.org/proceedings/2020/nime2020_paper45.pdf (Stand: 13.8.2024).
2 Trump, Sebastian: „Musical Cyborgs: Human-Machine Contact Spaces for Creative Musical Interaction“, in: Proceedings of the 2nd Joint Conference on AI Music Creativity, Graz 2021, https://aimc2021.iem.at/wp-content/uploads/2021/06/AIMC_2021_Trump.pdf (Stand: 13.8.2024).
3 Haraway, Donna: „Ein Manifest für Cyborgs: Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften“, in: Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, hg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt am Main 1995, S. 33-72.
4 Turing, Alan: „Computing machinery and intelligence“, in: Mind 59/236 (1950), S. 433-460.
5 Bringsjord, Selmer/Bello, Paul/Ferrucci, David: „Creativity, the Turing Test, and the (Better) Lovelace Test“, in: Minds and Machines 11/1 (2001), S. 3-27; Colton, Simon/Cook, Michael/Hepworth, Rose u. a.: „On acid drops and teardrops: Observer issues in computational creativity“, in: Proceedings of the 50th Anniversary Convention of the AISB, London 2014.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2024.