Kinderfasching

Ein Kinderfasching ist stets lebhaft und bunt und lädt zur lautmalerischen Umsetzung ein. So ist es auch bei den sechs kurzen Charakterstücken der 1979 in Oldenburg geborenen und in Lüneburg lebenden Blockflötistin und Komponistin Nicola Termöhlen. Auf insgesamt sieben Seiten tummeln sich Räuber, Gendarm, Jongleur, König, Prinzessin und ein Schattenpanther.
Genauso schillernd wie beim Karneval ist auch die Tonsprache der im Jahr 2022 komponierten Miniaturen. Tonale Fünftonbewe­gungen geraten bei Wilder Räuber und Flinker Gendarm in dissonante Gefilde. Der Kleine Jong­leur führt seine Kunststücke mit ganz harmonischen, stufenweisen Abwärtsbewegungen aus. Synkopen und eine kontinuierliche Polyrhythmik (rechte Hand in Vierergruppen und linke Hand in Quintolen) lassen bei präziser Ausführung das Bild vom Jong­lieren als ein apartes Tempo rubato erscheinen. Der Auftritt der Prinzessin verwendet neben beweglich geführten Sechzehntel­figuren synkopisch verschobene Dreiklänge in der Bassstimme. Der kurze Auftritt Ihrer königlichen Majestät ist im traditionellen Satz gehalten, mit durchgängig schreitenden Oktaven in der linken Hand.
Harmonisch und rhythmisch spannend ist Pssst… Schattenpanther durch seine geschickte Verwendung von Dissonanzen. Quinte und Oktave werden bis hin zu freitonalen Spielfiguren geführt, um ein Sechzehntel versetzte, sich stets vergrößernde Vierklänge erinnern in ihrer wellenartigen Bewegung an Klanggesten der Minimal Music.
Alle sechs Charakterstücke setzen die durch die Titel vorgegebene Bildlichkeit unmittelbar und fantasievoll um. Zudem bieten sie einiges an spieltechnischen Herausforderungen: Die eigentlich nicht schwer zu spielenden Fünftonbewegungen müssen von beiden Händen im raschen Tempo auch in Oktaven, im Legato und in wechselnder Phrasierung ausgeführt werden. Synkopen und Polyrhythmik verlangen einiges an Erfahrung und erfordern eine besondere Aufmerksamkeit.
„Die Klavierstücke Kinderfasching sind gleichermaßen Charakterstücke wie Etüden. Sie sind unterhaltsame Konzertstücke und außerdem insbesondere zur Präsentation pianistischen Könnens für fortgeschrittene Klavierspieler/innen geeignet“, schreibt die Komponistin im Vorwort.
Vielleicht sind die Charakterstücke als Konzertbeitrag insgesamt etwas zu kurz. Die Komponistin möchte auf engstem Raum Klavieretüde und Charakterstück vereinen. Auch die Zielgruppe erscheint divergent: Sprechen die bildhaften Titel zum einen Kinder direkt an, so kann der Kinderfasching aber nur durch einen über viele Jahre geschulten Spieler bzw. eine entsprechend erfahrene, dem Kindesalter entwachsene Spielerin ausgeführt werden.
Nicola Termöhlen hat in den vergangenen zehn Jahren einige Instrumental- und Vokalwerke bei der Edition Dohr veröffentlicht, darunter Tiertänze und Tierlieder, Zungen voll Jubel nach Psalm 126 und weitere geistliche Werke.
Christoph J. Keller