Gaul, Magnus (Hg.) / Edith Müller-Rieckmann

“Klänge”

Essays zu didaktischen Lern­prozessen, zur künstlerischen Entfaltung und zur Musikalität bei Blinden und hochgradig Sehbehinderten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Die blaue Eule, Essen 2015
erschienen in: üben & musizieren 6/2015 , Seite 53

„Klänge“ und „Essays“ lassen Offenheit des Adressatenkreises und Vielgestaltigkeit des Inhalts vermuten. In der Tat öffnet der Herausgeber zusammen mit zwanzig weiteren AutorInnen ein breites Spektrum, das von den Bedürfnissen Früh- und Risikogeborener bis zur Entfaltung einer musikalisch-künstlerischen Persönlichkeit reicht.
Ausgehend von der kleinsten Behindertengruppe, also der blinden und extrem sehbehinderten Kinder, und überzeugt von der Wichtigkeit musika­lischer Bildung für jeden Menschen werden Fakten und Forschungsergebnisse erläutert, Erfahrungen und Beobachtungen aufgezeichnet, Vorhaben und Forderungen für die Zukunft diskutiert sowie methodisch-didaktisches Vorgehen aus und für die schulische Praxis bis zur gymnasialen Oberstufe vorgestellt. Die Vielfältigkeit der Perspektiven ergibt darüber hinaus eine umfangreiche Sammlung an Verweisen auf einschlägige, aktuelle Literatur. Unterschiede in Qualität und Aussagekraft der Aufsätze sind vielleicht nicht zu vermeiden, jedoch hätte sorgfältigeres Lektorieren einigen Stellen gutgetan.
Die derzeitige Situation des Bildungssystems in Richtung Inklusion wird umsichtig überdacht, auch hinsichtlich des personellen und damit finanziellen Bedarfs. Es wird deutlich gemacht, dass für das Gelingen von Inklusion in Methodik und Didaktik fundiert ausgebildete Lehrkräfte Bedingung sind. Dass für die sonderpädagogischen Belange gut vorbereitete MusiklehrerInnen beispielhaft für die bisher meist unzureichend vorgebildeten PädagogInnen in den Regelschulen sein könnten, ergibt sich daraus.
Die Besonderheiten in der Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung wegen starker Sehbehinderungen oder Blindheit werden hier aus medizinischer und neurologischer Sicht vorgestellt. Die interessanten Erläuterungen zur Braille-Notenschrift und deren Vorteil gegenüber visuellem Erfassen von Musik lassen aufhorchen. Hieraus ergeben sich interessante Forschungs­ansätze, um zur Optimierung von (Musik-)Unterricht allgemein bei­tragen zu können.
Ein Plädoyer für die Feldenkrais-Arbeit als Hilfe und Unterstützung von Bewegung, Selbstwahrnehmung und räumlicher Orientierung vervollständigt die Übersicht über alle Facetten, die zum Musikerleben, Musikmachen und Musikverstehen gehören. Außerdem tragen auch der Einblick in die musikalische Karriere eines blinden Pianisten und die Informationen zur Deutschen Zentralbücherei für Blinde sowie über neue Technologien und Medien zur weitgreifenden Erschließung der Thematik bei.
Dieses Buch ist durch den Fokus auf einen überschaubaren Personenkreis exemplarisch zu verstehen. Von der Lektüre können auch Personen in anderen Bereichen profitieren. Zudem ist es sowohl absoluten Inklusionsverfechtern als auch -skeptikern ­nahezulegen; Behinderung lässt sich nachvollziehen, Chancen und Grenzen treten zu Tage und Diskussionen sowie differenziertes Betrachten von Bildungsaufgaben werden angeregt.
Brigitte Steinmann