Kehrer, Eva-Maria

Klavierunterricht mit dementiell erkrankten Menschen

Ein instrumentalgeragogisches Konzept für Anfänger

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2013
erschienen in: üben & musizieren 4/2013 , Seite 57

Eva-Maria Kehrer geht im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens der Frage nach, ob und inwieweit Menschen mit demenziellen Erkrankungen Klavierspielen lernen können. Leiten lässt sie sich von drei übergeordneten Themenkomplexen: die Gestaltung einer förderlichen Lernumgebung, der Umgang mit instrumentaldidaktischen Ansprüchen sowie allgemeine didaktisch-methodische Fragestellungen. Auch wenn aus Musiktherapie bzw. Elementarer Musikpädagogik bereits Konzepte für musikalische Gruppenarbeit vorliegen, nimmt sich die Instrumentalpädagogik nur zögerlich der Arbeit mit älteren Menschen an.
Kehrer konzentriert sich in ihrer Forschung auf den Unterricht mit demenzerkrankten Anfängern im Klavierspiel. Der von ihr gewählte Forschungsansatz „Design-based Research“ ermöglicht „ein systematisches Konstruieren von Gestaltungselementen eines inst­rumentalgeragogischen Konzeptes in Abstimmung auf alle Kontextfaktoren und beinhaltet die Entwicklung von Theorien über erfolgreiches Lehren und Lernen“. Hierbei nimmt Kehrer eine Doppelrolle – als Forscherin und als Klavierlehrerin – ein, was im Umgang mit Demenzerkrankten forschungstechnisch unumgänglich zu sein scheint. Im späteren Verlauf der Studie testen dann zwei weitere Klavierlehrer (ohne bisherigen Kontakt zu demenziell veränderten Menschen) die Praxistauglichkeit des entstandenen Unterrichtskonzepts.
Bevor die Darstellung der eigentlichen Studie erfolgt, umreißt Kehrer prägnant, welche krankheitsbedingten Vorgaben für den Instrumentalunterricht gelten bzw. wie der aktuelle Forschungsstand zu musikalischen Ressourcen Demenzkranker ist. Weiterhin nimmt sie eine Standortbestimmung bezüglich der Musiktherapie vor (unterschiedliche Zielvorstellungen bei musikalischer Aktivität) und ebnet konsequenterweise den Weg zu einer „elementaren Musikgeragogik“.
Für forschungsinteressierte LeserInnen ist es in den nachfolgenden Kapiteln hochinteressant zu verfolgen, wie im Laufe verschiedener „Produktzyklen“ Unterrichtsideen (z. B. hinsichtlich möglicher Notationsformen für Lieder oder Stücke) vorab gestaltet, praktisch erprobt, weiterentwickelt oder teilweise auch verworfen werden. Wer sich rasch über die konkrete praktische Umsetzung der Forschungs­ergebnisse orientieren möchte, kann dies übersichtsartig auf den Seiten 144-145 bzw. 193-195 tun. Hier beschreibt die Autorin ihr entstandenes Unterrichtskonzept, das aus folgenden Phasen besteht: gemeinsames Lied – Lied A bzw. Stück A – freie Improvisation – gebundene Improvisation – Lied B bzw. Stück B – Musikhören. Details zu den jeweiligen Phasen finden sich in der Darstellung der verschiedenen „Produktzyklen“.
Hervorheben möchte ich exemp­larisch den Abschnitt über die „Bildbetrachtung“ im Rahmen der gebundenen Improvisation. Das gemeinsame Betrachten von Bildern oder Fotos, die bezüglich ihrer biografischen Relevanz ausgewählt werden sollten, spielt in der Arbeit mit Demenzerkrankten eine große Rolle. Kehrer schildert verschiedene Gesprächszugänge und Überleitungsmöglichkeiten zur Bildimprovisation, was für KlavierlehrerInnen, die an der Umsetzung des Konzepts interessiert sind, sehr hilfreich ist.
Angesichts der sich wandelnden Altersstruktur unserer Bevölkerung sind Veröffentlichungen zur Musikgeragogik grundsätzlich zu begrüßen. Beide hier vorgestellten Bücher sind darüber hinaus in ihrem Gehalt an theoretischer und praktischer Information uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen!
Reinhild Spiekermann