Halt, Kerstin
Körper und Präsenz
Bodydialog® als Beitrag zur Musikergesundheit
Ein Ton beginnt nicht erst im Instrument, sondern in unserer Wahrnehmung. Je feiner unsere Sinne sind, desto gehaltvoller wird unsere Musik. Methoden wie Bodydialog®, die zur Steigerung der Körperwahrnehmung und zur Vorbeugung von mentalen und körperlichen Gesundheitsstörungen sowie Überbelastungen beitragen, können helfen, in Balance zu bleiben.
Der Ansatz von Bodydialog® ist es, die Sprache unseres Körpers zu verstehen, Ressourcen hervorzuheben und sie in unseren alltäglichen Bewegungen sowie am Instrument gezielt einzusetzen und zu nutzen. Durch Lösen von muskulären und faszialen Verspannungen kann sich auch das dazugehörige mentale Muster entspannen. So entsteht – mit etwas Übung – ein neues, gesünderes Wechselspiel zwischen Körper und Geist (Gedanken und Emotionen). Viele MusikerInnen sind schon seit früher Kindheit durch Leistungsdruck, Perfektionismus, Versagensängste, Lampenfieber und körperliche Fehlhaltungen hohen psychischen und körperlichen Belastungen ausgesetzt. Der Körper (das Instrument) muss jedoch empfänglich und durchlässig, optimal ausgerichtet (gestimmt) sein, um die Übertragung harmonisch und gehaltvoll zu gestalten. So ist es auch mit dem Dialog, den wir mit uns führen. Er formt uns, gibt uns den Impuls für unsere (Körper-)Haltung und unser Handeln.
Wir alle haben eine unbewusste (körperliche und mentale) Grundhaltung, nach der wir unsere Entscheidungen für Handlungen treffen. Das ist jedoch oft nicht der Weg, der uns gut bekommt, was sich in Fehlhaltungen und Symptomen zeigt. Unser Unterbewusstsein hat weitaus mehr Einfluss auf uns und steuert unser Leben – ob wir das wollen oder nicht. Alles, was wir verdrängt, vergessen oder erfahren haben, wurde abgespeichert: und zwar in den Faszien, Sitz von 90 Prozent der Nervenendigungen des autonomen Nervensystems. Wichtig zu wissen, dass unser Körper nicht nur darauf reagiert, in welchem Maße und in welcher Art und Weise wir uns bewegen, sondern auch, wie wir zu uns selbst stehen und zu uns sprechen. Unser Erscheinungsbild, unsere Körperform und -aufrichtung erzählt eine emotionale Geschichte von unseren Bindungen und Trennungen, von Nähe und Distanz, Annahme und Zurückweisung. Das Gefühl unseres Selbst ist eine Begleiterscheinung des Zellstoffwechsels und des Gewebetonus, es ist im Gehirn als unsere Art zu funktionieren festgeschrieben.
6. Sinn: die Faszien
Unser 6. Sinn – die Faszien – hat als unser Wahrnehmungsorgan einen direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden, auf unsere Fähigkeit, mit der Umwelt zu interagieren, unsere Grenzen zu setzen. Unsere Körperwahrnehmung basiert dabei auf zahlreichen Sinnesrezeptoren in den Muskeln, Gelenken, Sehnen, die durch Bewegung angeregt werden. Die faszialen Bindegewebe umhüllen im menschlichen Körper ausnahmslos jeden einzelnen Muskel, jeden Knochen, jedes Organ, selbst die Nerven. Sie bilden im Körper ein Geflecht, bei dem es keinen Anfang und kein Ende gibt, und überlagern sich oder gehen nahtlos ineinander über. Man bezeichnet sie auch als das „strukturgebende Organ“ des Körpers, denn sie formen unseren Körper, halten ihn zusätzlich durch Dehnspannung aufrecht und sind maßgeblich für unser Erscheinungsbild und unsere Körperstruktur verantwortlich. Zudem übertragen sie Spannungen im Körper und sind bei mangelnder Elastizität verantwortlich für Bewegungseinschränkungen und Stauchungen.
„Be like water my friend“: Diese Aussage von Bruce Lee beschreibt die Notwendigkeit von Geschmeidigkeit und Durchlässigkeit in unserem Körper, um mit herausfordernden Situationen gut umgehen zu können. Die Faszien reagieren auf den Muskeltonus und auf Emotionen wie Angst oder Furcht. Die dadurch ausgelöste Anspannung lässt unser Gewebe erstarren oder sogar verhärten. Im Gegensatz dazu machen Liebe und Tränen uns weich und das Gewebe wird „flüssig“. Wenn wir uns unter Schock versteifen oder uns verhärten, um (emotionale) Schmerzen zu begrenzen, erstarrt unser innerer Fluss wie zu Eis. Wenn das dauerhaft passiert, können chronische Schmerzen die Folge sein.
Ursachen für Faszienschmerzen und Fehlhaltungen sind (neben psychischen Gegebenheiten) z. B.:
1. Mangel an Bewegung: Verklebungen führen zu Schmerzen
2. Überlastung: Faszienstabilität geht verloren; das Verhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit ist der Schlüssel
3. Stress: Spannung der Faszien erhöht sich durch Zeitdruck, Erwartungsdruck, mobile Erreichbarkeit und emotionale Probleme; Stress beruht immer auf einer emotionalen Grundlage, das heißt wir geben der Situation eine Bedeutung und somit ein Stresslevel.
Übungen aus dem Bodydialog® können helfen, die Selbstwahrnehmung zu steigern, unsere Faszien zu lockern und uns zu fokussieren. Im Folgenden möchte ich einige Beispiele vorstellen.
Übungen
Die Propriozeption – Selbstwahrnehmung und Raumgefühl – ist ein wesentlicher Bestandteil wacher und präsenter Musikerinnen und Musiker. Sie ist notwendig, um uns zu positionieren, um aufzunehmen, was um uns herum geschieht, und um unsere Grenzen und Bedürfnisse zu kennen.
Gehirn im Gleichklang
Das Gehirn wieder in Gleichklang zu bringen, fördert die Konzentration und die Aufmerksamkeit. Stellen Sie dazu Ihre Füße schulterbreit auseinander und beginnen Sie abwechselnd, einmal das rechte, dann das linke Knie zu heben. Dabei klopfen Sie mit der Handinnenfläche derselben Seite etwas kraftvoller auf den Oberschenkel. Wiederholen Sie das zwölfmal pro Seite. Danach klopfen Sie mit der gegenüberliegenden Hand auf den angehobenen Oberschenkel. Machen Sie das in einem zügigen Rhythmus, wiederum zwölfmal pro Seite.
Nervenendigungen aktivieren
Aktivieren Sie die Nervenendigungen in den Faszien und fördern Sie dadurch Ihre Selbstwahrnehmung. Bringen Sie Energie zurück in Ihren Körper. Stellen Sie sich schulterbreit aufrecht hin und beginnen Sie, Ihren ganzen Körper auszuklopfen. Beginnen Sie mit den Armen. Die linke, lockere Faust klopft den rechten Arm von oben zur Hand und von Hand zu Schulter aus. Wechseln Sie die Seiten. Klopfen Sie dann auf Ihr Brustbein, unter den Schlüsselbeinen und gehen Sie zu den Rippenbögen. Beugen Sie sich daraufhin leicht nach vorne und klopfen Sie Ihren unteren Rücken aus, bis zum Becken und auf dem Gesäß. Klopfen Sie über die Außenseite der Beine zu den Füßen und gehen Sie dann innen an den Beinen entlang wieder nach oben.
Bearbeiten Sie jetzt Ihren Bauch, gerne auch mit der flachen Hand, klopfend oder streichend, und gehen Sie dann zum Nacken. Mit lockeren Fäusten klopfen Sie Ihren Nacken aus. Streichen Sie dann mit den Fingern Ihrer beiden Hände vom Augenbrauenansatz zum Nacken. Machen Sie das zwölfmal. Zum Schluss klopfen Sie mit den Fingern Ihr Gesicht aus.
Schütteln löst Stress
Stellen Sie Ihre Füße schulterbreit auseinander in einer parallel ausgerichteten Position. Beugen Sie leicht die Knie und beginne Sie nun, Ihren Körper zu schütteln. Achten Sie darauf, dass Ihre Gelenke sich zwischendurch nicht durchstrecken. Es ist fast wie ein Vibrieren, ein Zittern. Stellen Sie sich vor, wie Ihre Organe durchgeschüttelt werden und sich entspannen. Schütteln Sie auch Ihre Hände, ruhig etwas kräftiger. Atmen Sie dabei tief durch die Nase ein und durch den Mund aus.
Rhythmischer Atem
Setzen Sie sich aufrecht hin, stellen Sie Ihre Beine in einen 90-Grad-Winkel und halten Sie Ihre Wirbelsäule aufrecht. Beginnen Sie folgenden Atemrhythmus: Einatmen und dabei innerlich langsam bis vier zählen; dann ausatmen und erneut innerlich langsam bis vier zählen. Sechs- bis zehnmal wiederholen. Steigerung: Einatmen und bis vier zählen, Atem anhalten und bis vier zählen, ausatmen und bis vier zählen.
Räkeln und Strecken
Durch Strecken werden sensomotorische Rezeptoren im Gewebe aktiviert und die Information ans Gehirn weitergeleitet, dass es gleich „losgeht“. Ausgiebiges Räkeln und Strecken macht wach und lässt uns lebendig fühlen. Räkeln Sie sich daher ausgiebig mit den Armen, Beinen, Rücken, strecken Sie sich zum Himmel, nach oben, zu den Seiten und machen Sie auch ausgiebig Grimassen. Denn auch im Gesicht haben wir Muskeln und Faszien, die gedehnt und bewegt werden wollen. Machen Sie Geräusche wie Gähnen und Seufzen – mindestens fünf Minuten lang.
Die eigene Kraft spüren
Starten Sie die Übung im Vierfüßlerstand. Setzen Sie jetzt die Hände etwas weiter nach vorne vor die Schultern und stellen Sie die Zehen auf. Dann schieben Sie sich mit einem kraftvollen Ausatmen nach vorne über die Hände in die „Plank Position“ (Beine und Körper wie ein Brett gestreckt). Versuchen Sie, eine Linie zu bilden von den Füßen zum Hinterkopf. Geben Sie acht, dass der Rücken nicht durchhängt, und wiederholen Sie dies vier- bis achtmal.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2021.