Kotzerke, Sabine

Kraftfutter

Grau ist alle Theorie – in der Praxis muss sich das Gelernte bewähren

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2013 , Seite 12

Fortbildungen bieten Austausch mit Kolle­gInnen, neues Repertoire und viele Impulse für das eigene Unterrichten. Doch nur, was sich auch zuhause umsetzen lässt, ist lang­fristig von Wert.

Als ich 1986 mein Kirchenmusikstudium abschloss, gab es zwar einige gute Knaben- und Mädchenchöre in Deutsch­land, jedoch waren Kinderchöre noch recht spärlich vertreten. Demnach war der spezielle Fokus auf Kinderchorleitung mit entsprechender Literatur im Studium nicht vorgesehen. Durch meine eigenen fünf Kinder und meine besondere Neigung eher zur Chorleitung als zur Orgel wurde es mir immer mehr ein Herzens­anliegen, das Singen mit Kindern in einem Kinderchor zu etablieren.
Um fachspezifisches Handwerkszeug zu erlangen, besuchte ich seit 1998 nahezu jedes Jahr eine Kinderchorleitungsfortbildung. Ich erhoffte mir dort von Anfang an einen Spiegel meiner eigenen Arbeits- und Vorgehensweise mit Kindern und erhielt auch eine gewisse Bestätigung: Ja, es ist gar nicht so verkehrt, wie du die Materie angehst. Vor allem aber wurde mein Hunger nach Repertoire­erweiterung weitgehend gestillt.
Auch der Wunsch nach Austausch unter den Teilnehmen­den wurde immer erfüllt. Es tut gut, Kollegen und Kolleginnen zu treffen, die in einem ähnlichen Umfeld arbeiten, ähnliche Voraussetzungen mitbringen und mit ähn­lichen Konflikten zu kämpfen haben. Gerade in meinem Beruf ist man relativ alleine auf weiter Flur. Dieser Austausch stärkt und erweitert den Horizont. Durch die Vielfalt an Dozentinnen und Dozenten, die ich bislang erleben durfte, hatte ich die Möglichkeit, ganz unterschiedliche didaktische Heran­gehensweisen kennen zu lernen, obwohl das Thema ja immer ähnlich gestellt wurde, nämlich: Wie gehe ich mit der Kinderstimme um, wie pflege ich sie, wie studiere ich Lieder und Tänze am sinnvollsten ein, wie erhalte ich die Konzentration, was darf ich einfordern?
Ich habe von nahezu jedem Kurs mindestens ein oder zwei für mich wichtige und wegweisende Inhalte mitgenommen. Beispielsweise die Erkenntnis: „Musik kommt aus der Stille und geht in die Stille“; oder den Mut zur Qua­litätseinforderung bei einem Lied in puncto Hören und Intonation; oder den Umgang mit „Brummern“ durch spezifische Stimmbildungsinhalte; oder einfach wunderbare Literatur, die ich gleich anwenden konnte.
Auf den Fortbildungen erlebte ich es als anspruchsvolle Herausforderung, in der kurzen Zeit des Zusammenseins die Balance zwischen möglichst viel neuem Stoff und der zur Festigung notwendigen Wiederholung zu finden. Wichtigstes Fortbildungsziel ist für mich, zuhause den mitgenommenen Lehrinhalt um­setzen zu können. Nur so wird er sich in der Praxis bewähren. Ein zweiter Punkt erscheint mir ebenfalls unabdingbar für einen guten Lernerfolg: nämlich das zusammen erarbei­tete Arbeitsmaterial mitgeliefert zu bekommen. Es nützt den Fortzubildenden recht wenig, wenn sie nur die Quellen gesagt bekommen und zuhause das Lied gar nicht mehr vor Augen und dadurch auch nicht mehr im Ohr haben. Die Praxis zeigt, dass man im Alltag nicht mehr dazu kommt, den Literatur­angaben einzeln nachzugehen. Vielleicht gibt es da noch rechtlich gangbare Wege, Noten in die Hand zu bekommen?
Ein weiterer Aspekt für eine gute Vertiefung ist für mich zunehmend: weniger ist mehr! So nehme ich mir mittlerweile die Freiheit, Lieder wegzulassen, die meinem persönlichen Stil oder Inhalt nicht entsprechen. Die Arbeit ist überzeugender und authentischer, wenn man sich treu bleibt. Die praxisorientierte Lernweise „learning by doing“ und das stufenweise Erarbeiten ist meiner Erfahrung nach am besten. Das habe ich bei allen Fortbildungen als wohltuend und inspirierend erlebt. Auch die Pausen nach den Unterrichtseinheiten mit der Möglichkeit, das Erlebte in eigenen Worten selbst zu notieren (so bleibt es eher im Gedächtnis), empfand ich stets als sehr wertvoll für die spätere Anwendung.
Mein Fazit zum Thema Fortbildung: Ich würde nie und nimmer meine Arbeit so abwechslungsreich und sicher gestalten können, hätte ich meine Erfahrung nur vom Erwachsenenbereich auf den Kinderbereich übertragen und mich nicht Jahr für Jahr weiterbilden können.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2013.