Minoritenkirche in Krems

Poell, Hubert

Kunst.Räume

Musikschule schafft Kunstraum – ein Projekt der Musikschule Krems

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 22

Das kulturelle Gedächtnis ist eng verbunden mit den Räumen, Orten und Gebäuden, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. Im künstlerischen Dialog mit Architektur hat die Musik­schule als Institution auf Grund ihrer vielfältigen Ressourcen nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Aufgabe, kultu­relles Gedächtnis aufzuarbeiten und weiter­zuentwickeln. Im niederösterreichischen Krems hat man sich dieser Herausforderung gestellt.

Räume können real oder auch immateriell sein, eine „Sphä­re“, in die ich wie in einen Raum – eine „Anderswelt“ – trete. Ich kann sie schnell betreten und genauso schnell wieder verlassen. Ich kann darin verweilen, die Resonanz, die Geschichte dessen, was da ist oder war, wirken lassen und die Informationen aufnehmen. Kulturelles Gedächtnis lebt durch Bilder, Geschichten, Farben, Klänge und den damit verbundenen Erinnerungen weiter. Es braucht für die Speicherung und Konservierung jedoch einen Raum, einen eigenen „Abstellplatz“, auf den bei Bedarf zugegriffen werden kann.
Ein Stein – so erzählte mir ein Geologe der Österreichi­schen Mineralölverwaltung – könne bis zu sieben Jahre lang die geologischen Daten seiner Umgebung speichern und bewahren. Bringt man ihn beispielsweise als Baumaterial von einem Steinbruch an den nächsten Ort, so kann man noch lange Zeit den Strahlungsgehalt des ursprünglichen Platzes nachmessen. Am neuen Ort verliert der Stein nach etwa sieben Jahren seine Informationen und nimmt die des neuen Ortes auf.
Wenn, so lautete also meine Überlegung, Steine eine Erinnerung, ein „Gedächtnis“ haben, so könnten auch Gebäude aus Stein ein Gedächtnis für das haben, was sich in ihnen abgespielt hat – selbst wenn es nur ein Aphorismus dafür ist, dem kulturellen Gedächtnis einen Raum zu geben.
Wir sind von „Erinnerungsfeldern“ umgeben und durchdrungen, die die Speicherplätze für unser kulturelles Gedächtnis darstellen. Jeder Raum ist von eigenen Feldern erfüllt, die sein Gedächtnis bilden und bei entsprechender „Resonanz“ aktiviert werden. Bei uns Menschen ist es ebenso: Musik, Raum und Kunst sind nichts Isoliertes. Am Beispiel der Musikschule der Stadt Krems (Niederösterreich) zeigt das Projekt „Kunst.Räume“, wie kulturelles Gedächtnis mit dem Leben in der Stadt, mit Musik und Kultur zusammentrifft und neue kulturelle Erinnerungsräume und Bindungen schafft.
Die Musikschule Krems besteht seit den 1960er Jahren. Zunächst in einem ehemaligen Kloster angesiedelt, befindet sie sich gemeinsam mit der benachbarten Volksschule heute in einem von der Stadt 2008 revitalisierten Gebäude mit 125-jähriger Geschichte. Als „musikalisches Tor“ in die Wachau bietet die Musikschule Krems als Regionalschule neben dem üblichen Fächerkanon auch zahlreiche Kooperationen mit mittlerweile sieben Kindergärten und fünf städtischen Volksschulen. 30 Lehrkräfte unterrichten knapp 1000 Musikinteressierte, die jede Woche in die Musikschule kommen bzw. die Schule zu ihnen: Die Zahl der Außenstellen nimmt beständig zu. Krems ist eine Kulturstadt. Zahlreiche regionale und überregionale KünstlerInnen jeglichen Alters und jeglicher Nation beleben die Szene mit Musik, Tanz, Kunst, Kultur, Art & Performance, Literatur und vielem mehr – und die Musikschule ist ein Teil dieser Szene.

Projekt „Kunst.Räume“

Öffentliche Räume mit kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung werden Schauplätze von Musik, Literatur, Film und Fotografie. Jeder der Räume hat seine eigene Geschichte und seinen eigenen Anteil am kulturellen Gedächtnis der Stadt. Bestimmt durch Herkunft, persönliche Lebensgeschichte und Umfeld empfindet, definiert und erlebt auch jeder Besucher, jede Besucherin diesen Raum jeweils anders. Bei der Begegnung verschmelzen beide „Erinnerungen“ und entwickeln ­eine neue Bedeutung. Tagtäglich entwickeln wir mit derartigen Begegnungen neues „Kulturelles Gedächtnis“.
Zu den wesentlichen Zielsetzungen des Projekts zählt die Umsetzung der formulierten Annahmen,
1. dass (historische) Räume „Speicherplätze“ für kulturelles Gedächtnis sind. In der künstlerisch-medialen Begegnung mit Menschen werden gespeicherte Daten in Form von Erinnerungen frei und können bewusst erlebt und erfahren werden;
2. dass es möglich ist, kulturelles Gedächtnis zu „erschaffen“. Im selben Vorgang schaffen wir auch unsere kulturelle Zukunft auf der Grundlage dieses Wissens. Wir selbst sind verantwortlich für den Ablauf dieses Prozesses.
Keine Annahme, sondern Tatsache ist, dass in diesen Prozessen die Institution Musikschule eine zentrale Rolle für Aufarbeitung, Vermittlung und Schaffen neuen Gedächtnisses spielt. Sie ist die Einrichtung (neben anderen wie beispielsweise der Stadtbibliothek), die vorrangig die Ressourcen zur Reflexion und kreativen Umsetzung und an diesen Entwicklungen lebendigen Anteil hat.
Kulturelles Gedächtnis ist auf Medien angewiesen, auf Menschen, die es erkennen, interpretieren und gemeinsam gestalten. Im Projekt „Kunst.Räume“ wurde die Musikschu­le Krems selbst zum wandernden „Kunstraum“, spannte den Bogen von Musik über Literatur, Geschichte, Religion und Leben in der Stadt. An sechs verschiedenen Projekt-Stationen in Krems fand jeweils im Abstand eines Monats eine medial unterstützte (Konzert-)Veranstaltung statt. Der Fokus lag auf der Bedeutung der Gebäude und Plätze für die Stadt und die Re­gion. Kremser BürgerInnen wurden eingeladen, aus ihren Erinnerungen zum jeweiligen Ort zu erzählen. Dabei entstanden multimediale Konzertveranstaltungen, die sich auf die jeweiligen Eigenheiten der Räume bezogen: Musik aus allen Sparten und Bereichen – abgestimmt auf die verschiedenen Abteilungen der Musikschule, sodass sowohl Volksmusik-Ensembles als auch Alte Musik, Jazzabteilung und andere vertreten waren, die die tradierte Form der Rezeption im klassischen Konzertsaal hinter sich ließen und den Raum selbst als musikalischen Parameter integrierten. Zu jedem Veranstaltungsort entstand ein Film, der aus Fotografien der Medienklasse zusammengestellt wurde, zu jedem Film eine eigene Filmmusik. Die Filme erzählen mit Texten, Live-Orchester, Elektronik und Bildmaterial die Geschichte der Gebäude und Räume.

Planung

Die Arbeit am Projekt „Kunst.Räume“ begann im Oktober 2016 mit der Auswahl der Orte. Jeder Raum sollte etwas Besonderes ausstrahlen, sollte einladend, inspirierend sein und ein interessiertes Publikum anlocken. Das Publikum sollte die charakteristischen Eigenheiten des Ortes empfinden können. Gleichzeitig mussten aber auch die Rahmenbedingungen für eine Konzertveranstaltung stimmen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2020.