Knoll, Katharina
Langer Weg zur Teilhabe
Symposium an der Bruckner Universität in Linz zu Ansprüchen und gelebten Wirklichkeiten in Bezug auf Inklusion und Diversität
Seit vielen Jahren hat an der Bruckner Universität in Linz die Auseinandersetzung mit Inklusion und Diversität in pädagogischer und künstlerischer Praxis sowie im Fachdiskurs in Bezug auf Berufsfeld und Studium große Bedeutung. Im Symposium „Instrumental(Gesangs)pädagogik für alle – Ansprüche und gelebte Wirklichkeiten“, das im Oktober 2024 stattfand, warf man einen mehrdimensionalen Blick auf inkludierende und exkludierende Praktiken, welche die Personen in Ausbildungsinstitutionen bzw. im Hochschulbetrieb betreffen. Interdisziplinäre Ensembles von Studierenden der Bruckneruni bereicherten die Veranstaltung, indem sie ihre Sichtweisen auf Marginalisierung, Diversität und kulturelle Vielfalt künstlerisch zum Ausdruck brachten.
Bianka Wüstehube, Initiatorin dieses Symposiums, führte in das Thema ein: In welchen Kontexten an einer Hochschule für Musik spielt Inklusion eine Rolle und worin erkennen wir die Notwendigkeit, uns darüber Gedanken zu machen? Wie können – oft auch intersektionale – Formen der Diskriminierung erkannt werden, wie sollte darauf reagiert werden? Welche Ausschlusspraktiken werden im Zuge des Studiums möglicherweise erlernt und wie kann man sie umgekehrt auch verlernen? Was braucht es, um die Studierenden in der Entwicklung einer diversitätsbewussten und machtsensiblen Haltung zu unterstützen? Wie kann Vernetzung stattfinden, um gelebte Inklusion umfassend zu etablieren?
In fünf inhaltlich aufeinander abgestimmten Fachvorträgen beschäftigten sich die ReferentInnen mit diesen Fragen. Mit den Vortragenden waren jeweils zwei Studierende von deren Hochschulen angereist, um sich untereinander auszutauschen und ihre für die Diskussion essenzielle Perspektive einzubringen.
Johann Honnens (Universität der Künste Berlin) rief in seinem Beitrag dazu auf, Institutionen aus einem hegemoniekritischen Blickwinkel zu betrachten und die Vormachtstellung bestimmter Wertesysteme, Wahrnehmungs- und Wissensordnungen, die sich in Alltags- und Musizierpraktiken widerspiegeln, zu hinterfragen.
Darauf bezugnehmend widmete sich Bianka Wüstehube (Bruckner Universität Linz) diskriminierenden Aspekten im Kontext von Eignungsprüfungen. Sie veranschaulichte mittels berührender und teilweise skurriler Fallbeispiele exkludierende Momente und Benachteiligung aufgrund von Alter, Geschlecht, Habitus, Nationalität sowie Performance in Eignungsprüfungen und nannte diverse Möglichkeiten für Veränderungen. Zusätzlich forderte sie die Erweiterung des Kanons der Hauptfächer sowie die Abschaffung der Theorieprüfung als „Gatekeeper“.
Nach diesem Appell zur Beseitigung von unnötigen Hürden in Aufnahmeprozessen sprach Natalia Ardila-Mantilla (Hochschule für Musik und Tanz Köln) in ihrem – teilweise auf die eigene Biografie bezugnehmenden – Vortrag über das Selbstbild von Musikhochschulen und die Schwierigkeit, deren Normalitätsvorstellungen mit Inklusion zu vereinbaren. Nicht selten kommt es zur Verdrängung des Themas an die Peripherie. Als Beispiel für gelingende Teilhabe durch gegenseitige Stärkung in kollaborativen Projekten stellte sie das Kölner Modell „EMSA – Eine (Musik) Schule für alle“ vor.
Eine Möglichkeit, Auswege aus den beschriebenen unbefriedigenden aktuellen Zuständen zu finden, zeigte Michael Göllner (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) mit einem erfrischenden Gedankenexperiment nach John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ (1971). In einem achtsam geleiteten Prozess regte er an, die eigene Perspektive probehalber gegen eine andere einzutauschen und ausgehend von einem neutralen „Urzustand“ eine für alle Beteiligten adäquate Unterrichtssituation zu imaginieren, an welcher sich folglich das didaktische Denken orientieren sollte.
Nach diesem gedanklichen Ausflug setzte sich Julian Schunter (Gustav Mahler Privatuniversität für Musik Klagenfurt) kritisch mit der Realität spezifischer Leistungserwartungen im Lehrplan der Musikschulen und im Studium der Instrumental(Gesangs)pädagogik auseinander und plädierte für die Individualisierung von Lehrinhalten sowie Prüfungsformen und -inhalten.
Im Austausch in Diskussionsgruppen und im anschließenden Podiumsgespräch mit den Vortragenden, dem Qualitätsmanager der Bruckneruni und zwei Studierenden kam noch einmal deutlich zum Ausdruck, wie sehr Musikschulen und Unis als abgeschlossener „Produktionskreislauf“ wahrgenommen werden. Auch Studierende und Lehrende fühlen sich gewissermaßen „inside the box“ und wünschen sich mehr Vielfalt. Dringend sollte herausgefunden werden, wer „die sind, die nicht da sind“. Wie kann man sie erreichen und in den Dialog einbeziehen? Einig war man sich darin, dass Barrieren unterschiedlicher Art wahrgenommen und ausgeräumt, Kollegien und Gremien in ihrer Zusammensetzung diverser werden müssen, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen.
StudienanwärterInnen sollten transparent über die Inhalte und Abläufe von Aufnahmeverfahren informiert und Tutorials bereitgestellt werden, um habitueller Benachteiligung entgegenzuwirken. Intensiv wurden außerdem die Inhalte der Aufnahmeprüfungen diskutiert, wobei es vor allem auch Gelegenheit geben sollte, Kommunikationskompetenz und individuelle künstlerische Zugänge zu zeigen.
Aus dem Plenum stammte die Frage: „Warum kümmern sich Hochschulen erst dann um Inklusion, wenn die Studierendenzahlen zurückgehen?“ Leider musste man sich eingestehen, dass mancherorts selbst dies nicht für alle Motivation ist, das Thema voranzutreiben. Die Tatsache, dass trotz jahrzehntelanger Bemühungen Inklusion an Hochschulen noch immer nicht als selbstverständlich gilt und Veränderungen äußerst langsam vonstatten gehen, kostet viele, die sich engagieren, Kraft und Energie.
Bestärkend waren daraufhin die Antworten auf Bianka Wüstehubes Schlussfrage, worin denn die PodiumsteilnehmerInnen ihre persönlichen Handlungsmöglichkeiten sähen. Es wurden die Aspekte Studiengestaltung, Forschung, Gremienarbeit, künstlerische Projekte, Empowerment und Vernetzung genannt, wo sowohl Lehrende als auch Studierende je nach Institution und Rolle ihren Einfluss geltend machen können.
Die Resonanz der Teilnehmenden auf das Symposium war äußerst positiv. „Eine der anregendsten, empowerndsten und gastfreundlichsten Konferenzen“, so eine wörtliche Rückmeldung. Der Tag wurde als Bestätigung darin empfunden, den Weg Richtung Inklusion und Diversität mit Nachdruck und Ausdauer weiterzuverfolgen und die Vernetzung als wertvolle Ressource zu nutzen.
Dokumentation des Symposiums
https://uebenundmusizieren.de/artikel/igp-fuer-alle
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2025.