Rüdiger, Wolfgang

Lebendige ­Lernsystematik

Christian A. Pohls ­Klavierkurse an der Musikschule Lörrach

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 1/2009 , Seite 38

„Nun verbalisieren Sie bitte, was Sie tun, während Sie die Stelle auswendig spielen.“ Verbalisieren? Jetzt haben wir doch schon einen Lernabschnitt der Bagatelle op. 119 von Ludwig van Beethoven definiert, seine kompositorische Struktur, Motivik, Harmonik etc. genau beschrieben und den Beginn des Andante cantabile mehrfach auswendig am Klavier „rekonstruiert“. Und nun noch: laut dazu sprechen? – Zum Beispiel die Intervallfolge horizontal und vertikal benennen, den Sext­vorhalt auf der Eins und das schöne Schließen auf der Drei des ersten Takts mit Worten wiedergeben… Und ich verbalisiere, während ich spiele, ja bevor ich die einzelnen Tasten und Töne anschlage. Und siehe da, es gelingt immer besser und erwirkt ein Aha-Erlebnis ersten Ranges: Nie werde ich diesen Beginn vergessen – und mit Sicherheit die Bagatelle, systematisch einstudiert, immer sicherer spie­len können.
Dies ist eine vielversprechende Kostprobe des Könnens von Christian A. Pohl, Pianist, Klavierpädagoge, Lehrbeauftragter an der Musikhochschule Freiburg und Verfasser einschlägiger Fachartikel. Wer mehr davon genießen und effizienter üben, erfüllter musizieren, erfolgreicher Klavierspielen lernen möchte – ob Anfänger, Fortgeschrittener, Studierender, Lehrender –, dem seien die Klavierkurse Lörrach empfohlen, die Pohl an sechs Wochenenden von Ende März bis Mitte Juni 2009 in der Städtischen Musikschule Lörrach gibt: ein konzeptionell neues, altersübergreifendes Angebot, das einzigartig ­er­scheint in der Kurs- und Fortbildungslandschaft Deutschlands (vgl. www.lernstrate­gie.com).
Gegliedert in drei Module, bestehend aus zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden, werden tradierte Wissensbestände der Pianis­­tik und ihrer Vermittlung neu formuliert und in eine alltagstaugliche Lernsystematik überführt, die Abschied nimmt von personenkultartiger Meisterlehre und ganz auf aktives Lernen und eine abwechslungsreiche Methodik setzt. Im Zentrum steht die individuelle praktisch-theoretische Auseinandersetzung der KursteilnehmerInnen mit ihren Werken: in Form von offenem Unterricht (auch der Teilnehmer untereinander), Lehrdemonstrationen, Videobeispielen, Vorträgen, Diskussionen und Computerpräsentationen – eine pianistische Lern-Welt, in der alles möglich ist und systematisch geordnet zugleich.
Die Themen der sechs Wochenenden sind genau definiert und aufeinander bezogen, alle Arbeitsschritte sorgfältig miteinander verzahnt. Sie umkreisen Verfahrensweisen wie das oben beschriebene Dekodieren (1. Wochenende, 28./29. März 2009) mit dem Ziel, pianistische Texte mittels sorgfältiger Vergegenwärtigung und variativer Wiederholung genau zu deuten, zu memorieren und abzusichern. Auf diese Weise lernen Anfänger wie Fortgeschrittene genau verstehen, wie ein Notentext geformt ist. „Leichtfüßig, frei und bequem Klavierspielen können“, dazu bedarf es dann des Automatisierens der memorierten Inhalte und eines körpersensiblen, handdynamischen Umgangs mit den spieltechnischen Anforderungen (2. Wochenende, 4./5. April 2009).
Das zweite Modul (2./3. und 9./10. Mai) widmet sich dem Ausbalancieren der klanglichen Mehrstimmigkeit von Klavierwerken und arbeitet mit instrumentalen Klangfarben und räumlicher Vorstellung von Stimmverläufen. Hier wird ein dramaturgisches Konzept rhetorisch-gestischen Klavierspiels entwickelt, das die einzelnen Arbeitsstufen und Abschnitte des Werks in einen größeren Zusammenhang stellt. „Kontrastreiche und ausdrucksstarke Klangbilder zu zeichnen“, ist das Lernziel dieses Kursteils. Darauf baut die Technik des Kolorierens, des farbigen, singenden, sagenden Spielens, im zweiten Modulteil auf.
In klar nachvollziehbaren Lernschritten setzt sich so das Werk – auf der Basis eines vorgängigen Gesamteindrucks – zusammen und findet im letzten Modul (6./7. und 13./14. Juni) durch Mentales Üben und „Assoziativtechniken“ wie Textieren, Adjektive finden und ges­tisches Verkörpern zum individuellen Ausdruck und sicheren Vortrag. Mit einem Überblick über verschiedene Übemodelle wie ­variiertes Üben und „Aufgabenorientiertes Üben“ (mit Aufnahmegerät) wird das Ganze noch einmal vertieft, abgesichert und auf ­eine neue Ebene gehoben. Videoaufnahmen und gemeinsame Analysen steigern die Urteilskraft einer jeden Seminarteilnehmerin und geben Auskunft über den individuellen Lernstand eines jeden Einzelnen.
Höchst attraktiv erscheint Christian A. Pohls Kursprogramm nicht nur durch seine ausgefeilte inhaltliche und methodische Konzep­tion, sondern auch durch seinen Preis, belaufen sich doch die Gebühren eines jeden Moduls mit zwei Wochenenden und 20 Stunden lediglich auf 180 Euro (Schüler und Studierende 160 Euro). Und wer alle drei Module bucht, bekommt das gesamte Paket der Klavierkurse Lörrach für 450 Euro (Schüler und Studierende 400 Euro) geboten. Ebenso beispielhaft ist die perfekte Aufmachung des Kursangebots, wozu profunde Fähigkeiten auf dem Gebiet des Selbstmanagements und Marketings erforderlich sind. Und darüber verfügt Christian A. Pohl – selten für einen Pianisten seines Rangs und nötig für jeden selbstständigen Pädagogen – in reichem ­Maße, sind doch der professionell gestaltete 20-seitige Prospekt und die entsprechende Website Ergebnis seiner eigenen künstlerischen Designtätigkeit am Computer. Die Internet- und Druckkosten, Werbemaßnahmen und weiteren Organisationsaufgaben obliegen der Musikschule Lörrach, die als Veranstalterin fungiert; der Dozent trägt das volle Risiko der Einnahmen über die Kursgebühren.
Die Qualität des detailgenauen Vorgehens und des überzeugenden roten Fadens indes, den Pohls pianistische Lehre und pädagogische Liebenswürdigkeit spinnen, sollte für eine rege Beteiligung und viele Anmeldungen sorgen. Dass seine lebendige Lernsystematik als eine Art „Offenbarung“ empfunden werden kann, bestätigt der Verfasser dieser Zeilen nur zu gern. Die mit Hilfe von Christian A. Pohls Übeweise erarbeitete Beethoven-Bagatelle op. 119 werde ich mein Lebtag nicht vergessen und stets mit Lust und Tiefgang spielen.

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