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Tarr, Irmtraud

Lecture Recital

Vortragsperformance zwischen Musik und Sprache

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2017 , Seite 21

Das Lecture Recital oder “Gesprächskonzert” als Vortragsperformance bietet die Möglichkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse und künstlerische Performance auf kreative Weise miteinander zu verbinden. Studierende eines künstlerischen Fachs können hier vor Publikum zeigen, was in ihnen steckt. Irmtraud Tarr eröffnet einen Ausblick auf die Potenziale von Lecture Recitals für die musikpädagogische Praxis.

Musikstudierende können ein Lied davon singen: An einer schriftlichen Abschluss­arbeit kommt keiner vorbei, wenn er den begehrten Titel eines universitären Masters erreichen will. Das „Meisterstück“ wird in der Regel in schriftlicher Form verfasst. Für Studierende künstlerischer Fächer bringt allerdings ein umfangreicher schriftlicher Leistungsnachweis häufig nur einen Teil der im Studium gewonnenen wissenschaftlichen und künstlerischen Erkenntnisfortschritte zum Ausdruck. Für manche ist die schriftliche Masterarbeit allenfalls eine hoch anstrengende, zeitaufwändige Trockenübung. Das künst­lerische Vermögen und die Monate und Jahre wissenschaftlicher Beschäftigung mit einem Thema der Musik äußern sich hier ausschließlich auf dem Papier statt auf dem Podium. Künstlerische Essenz und Begeisterung bleiben mitunter auf der Strecke.
Die Lücke zwischen wissenschaftlicher Leistung und künstlerischem Ausdruck will das Lecture Recital als neue Form einer künstlerischen Masterarbeit schließen. Basierend auf dem Format der Vortragsperformance können Studierende ihre Erkenntnisse zu einem künstlerischen Thema vor dem Prüfungsausschuss und Interessierten präsentieren. Musikalische Werke, Forschung und Erkenntnis werden in szenischer Darstellung sichtbar und hörbar gemacht.

Vom Konzertsaal in die Universitäten

In der Konzertwelt hat das Lecture Recital schon seit Jahren künstlerisches Gewicht. In den Niederlanden und den USA werden seit den 1990er Jahren Lecture Recitals erfolgreich mit musikwissenschaftlicher Ausrichtung praktiziert. Dieses Veranstaltungsformat ist an europäischen Hochschulen noch weitgehend ein Novum. Am Mozarteum Salzburg bieten wir eine integrative Form an und arbeiten nach der Methode des Spielens und Sprechens im Format der Vortragsperformance. Performan­ces sind inzwischen weit verbreitet, vor allem im Theater, auf Tagungen und bei Ausstellungen. Unser Konzept ist auf den Kontext von Hochschulen und Universitäten zugeschnitten, um den Studierenden eine Alternative zu den bisher üblichen Masterarbeiten zu bieten.
In gewisser Weise ist ein Lecture Recital die Essenz aus Analyse und Gestaltung. In jeder Präsentation von Wissen steckt immer schon „Performance“. Wissenschaftler wollen seit jeher ihr Wissen und ihre Erkenntnisse in Hörsaal, Seminaren und Vorträgen ihrem Gegenüber überzeugend vermitteln. Sie wollen für ihr Thema begeistern. Ein wissenschaft­licher Vortrag soll mehr sein als Vermittlung trägen Wissens, sondern Dynamik in den Köpfen der Zuhörer wecken, eigenes Denken und Forschen anregen. Genau das will das Lecture Recital.
Das Lecture Recital am Mozarteum ist eine eigene Form künstlerischer Masterarbeit. Es soll ein frei gesprochenes Gesprächskonzert sein und keine Powerpoint-Darstellung, wo ein fertiges Produkt abgespult wird. Die universitären Richtlinien für ein Lecture Recital am Mozarteum wurden folgendermaßen festgelegt: Die Studierenden wählen in Absprache mit ihrem Betreuer oder ­ihrer Betreuerin (Hauptfachlehrkraft) ein oder mehrere Werke aus dem Prüfungsprogramm aus (Gesamtspielzeit 20 bis 30 Minuten). Diese spielen sie innerhalb von 40 bis 60 Minuten dem Prüfungssenat vor und erläutern das Programm entweder nach analytischen, interpretationsvergleichenden, historischen, instrumentaltechnischen oder weiteren Gesichtspunkten. Der schriftliche Teil ist in Form eines Konzepts im Umfang von mindestens zehn Seiten dem Vorsitzenden des Prüfungssenats drei Wochen vor der Präsentation vorzulegen. Die Präsentation sowie der schrift­liche Teil sind Bestandteil der Note für die künstlerische Masterarbeit.

Lecture-Recital-Seminare

Seit 2014 werden öffentliche Lecture Recitals als neue Form der Masterarbeit am Mozar­teum erfolgreich durchgeführt. Dazu wurde die neue Lehrveranstaltung „Lecture Recital Seminar“ eingeführt: ein einstündiges Seminar pro Woche im Semester. Die Präsentation von wissenschaftlich-systematischen Erkenntnissen ist längst nicht mehr exklusive Angelegenheit einzelner Lehrender und wissenschaftlicher Experten, sondern sollte bereits im Studium beginnen. Studierende künstlerischer Fächer sind gut beraten, ihren kreativen Eigenausdruck nicht erst nach dem Studium, sondern rechtzeitig während wis­senschaftlich fundierter Lernprozesse zu entwickeln.
Schriftliche Leistungsnachweise sind zweifellos für das systematische Lernen und Strukturieren notwendig, aber sie haben ihre Grenzen. Denn sie minimieren die Möglichkeit, künstlerisches Wissen aus vielen Perspektiven, ideenreich und mit Eigensinn zu entwickeln und mitzuteilen. Je früher, desto besser kann im Lecture Recital ein Lernen mit Herz, Hirn und Hand zum Tragen kommen. Es gilt für die Studierenden, verschiedene Formen der Darstellung, Hervorhebung und Akzentuierung auszuprobieren. Sprechen und Spielen gehen auf der Bühne eine fruchtbare Synthese ein; doch müssen diese stets neu befragt werden.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2017.