Fontaine, Susanne / Ulrich Mahlert / Dietmar Schenk / Theda Weber-Lucks (Hg.)

Leo Kestenberg

Musikpädagoge und Musik­politiker in Berlin, Prag und Tel Aviv

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rombach, Freiburg 2008
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 52

Leo Kestenberg (1882-1962) war Pianist, Musikpädagoge, Publizist und Musikpolitiker. Als Referent für musikalische Angelegenheiten bzw. als Ministerialrat im preußischen Kultusministerium beeinflusste er von 1918 bis 1933 maßgeblich das Berliner Musikleben und reformierte die Ausbildung von Musiklehrern in Preußen. In diesem Kontext ist der Name Kestenberg weithin bekannt. Dass Kestenbergs Leben und Wirken darüber hinaus einer eingehenden Betrachtung würdig ist, bewies bereits das internationale, interdisziplinär konzipierte Leo-Kestenberg-Symposium, das die Universität der Künste Berlin gemeinsam mit der Berliner Leo Kestenberg Musikschule im Dezember 2005 ausrichtete.
Die vorliegende Publikation dokumentiert dies nun ihrerseits, indem sie im Wesentlichen die wissenschaftlichen Beiträge des Symposiums zusammenfasst: Fundiert beleuchten WissenschaftlerInnen und Zeitzeugen aus musikpädagogischer, musikwissenschaftlicher, kunsthistorischer sowie zeitgeschichtlicher Perspektive die vielfältigen Stationen und Arbeitsschwerpunkte im Leben Kestenbergs.
Die Veröffentlichung besticht erstens durch ihren Quellenreichtum. Bislang nicht zugängliche oder wenig bekannte Dokumente werden ausgewertet und führen unter anderem zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Kestenbergs Autobiografie Bewegte Zeiten. Zugleich werden Materialkonvolute vorgestellt, so Kestenbergs Briefe an Georg Schünemann oder Kestenbergs Nachlass, der sich im Archive of Israeli Music befindet. Auf diesem Weg eröffnen sich für die Forschung weiterführende Aufgaben.
Zweitens steht Kestenberg zwar im Zentrum der Publikation, doch tatsächlich weist der Band weit über seine Person hinaus, wie bereits ein Blick ins Personenregister zeigt. So ist z. B. die Erinnerung an vergessene innovative Berliner Musikpädagoginnen ebenso eindrücklich zu lesen wie die Geschichte der Prager „Gesellschaft für Musikerziehung“ oder die Suche nach einer eigenen kulturellen Identität in Palästina bzw. Israel. Drittens sind Kestenbergs Credo „durch Musik zur Menschlichkeit gelangen“ bzw. seine bescheidenere Überzeugung „einen Menschen bilden zu können“ nicht nur angesichts laufender JeKi-Diskussionen hoch aktuell.
Kurz: Die Lektüre dürfte für jeden zeitgeschichtlich und kulturpolitisch Musikinteressierten einen Gewinn bedeuten. Einzelne Texte bieten sich im Kontext der universitären Lehre hervorragend als Studienmaterial an. Hätte ich im Rahmen einer Neuauflage zwei Wünsche frei, so würde ich für die Ergänzung eines tabellarischen Lebenslaufs nebst zeitgeschichtlicher Daten plädieren sowie darum bitten, dass das Literaturverzeichnis eine leserfreundlichere Anlage erhält und um alle im Fußnotenapparat erwähnten Schriften ergänzt wird.
Barbara Busch