Herold, Anja
Lust und Frust beim Instrumentalspiel
Umbrüche und Abbrüche im musikalischen Werdegang, Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts, hg. von Freia Hoffmann, Band 5
Auch wissenschaftliche Literatur kann zum Blättern verführen: wie Anja Herolds spannend zu lesende Oldenburger Dissertation. Ergebnisse, Anregungen und Denkanstöße der vielfältigsten Art bietet das Buch zuhauf. Dabei muss es nicht als Einschränkung gesehen werden, dass sich Herolds Untersuchungen auf den Jazz/Rock/Pop-Bereich konzentrieren.
Herolds Forschungsinteresse richtet sich „auf die Zusammenhänge zwischen Lebenslauf und musikalischem Werdegang“. Die Arbeit wird eingeleitet von einem umfassenden Bericht zum Stand der Forschung, der zugleich schon Hinweise auf eventuelle Bruchstellen in Instrumentalschüler-Biografien gibt. Auch Kritik klingt an, wenn etwa unsere „alles beherrschende Begabungskultur“ in Frage gestellt wird. Eine Marginalie vielleicht, aber wo erfährt man en passant sonst etwas über die Abhängigkeit der Musikalität von Testosteronwerten? Die Gender-Problematik durchzieht mit unideologischer Selbstverständlichkeit die Arbeit.
Ihre Methoden legt Anja Herold detailliert dar: Sie wählt den Weg der offenen Form des persönlichen, „problemzentrierten Interviews“ mit „verstehendem und interpretierendem“ Nachvollzug des Erzählten. Die Methode der „grounded theory“ bietet eine hohe Sicherheit, aus einer Subjektivität (die ja sowohl den Interviewten als auch den Interviewer betrifft) zu objektiven Ergebnissen zu kommen. Man nimmt gleichsam direkt teil am Forschungsvorgang, am Weg von den Interview-Texten (die im O-Ton wiedergegeben sind) zur Theoretisierung.
Zentrale Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich bündeln in Gegensatzpaaren: Selbstbestimmung, intrinsische Motivation, Lustprinzip, informelles Lernen auf der einen, Fremdbestimmung, extrinsische Motivation, Leistungsprinzip, formelles Lernen auf der anderen Seite. Werden die Konflikte zwischen diesen Polen zu groß, kann das den Abbruch des Unterrichts oder den Wechsel des Instruments bewirken. Aus der Fülle von Ansatzpunkten für didaktische Überlegungen sei für einen „spielerischen, selbstbestimmten, lustbetonten Zugang zum Instrumentalunterricht“ Herolds Forderung nach einer Gleichwertigkeit informeller und formeller Lernwege erwähnt.
Ihre Aussage: „Das Üben hat sich als zentraler demotivierender Faktor herausgestellt“, mag Instrumentallehrkräften rein „formeller“ Ausrichtung banal erscheinen. Herolds Buch allerdings stößt uns ausführlich auf die grundsätzliche, weitreichende Bedeutsamkeit dieser Aussage, beleuchtet sie aus unterschiedlichster, emotional reflektierter und erlebter Schülerperspektive. Den Zusammenhang von Lernerfolg und Lust hat übrigens die neuere Hirnforschung gründlich bestätigt. Ein Anhang, u. a. mit umfangreichem Literaturverzeichnis, ergänzt die Untersuchungen.
Günter Matysiak