© Thomas Morsch

Heß, Carmen

Magische Momente erzeugen

Über den Anspruch des Zusammenspiels im instrumentalen ­Klassenunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 3/2019 , Seite 32

Bläserklasse: Da könnten manche an einen großen, lauten und etwas schrägen Klangkörper denken, der beim Schulkonzert „Fluch der Kari­bik“ schmettert – und weniger an sensible musikalische Interaktion. Aber wenn Kinder von ihrer ersten Instrumentalstunde an permanent ­zusammenspielen: Warum sollte man gerade dieses Potenzial nicht noch viel mehr nutzen, als man es in der Praxis häufig tut?

Im Instrumentalklassenunterricht sollen die SchülerInnen einer Klasse bzw. Lerngruppe spieltechnische und musikalische Grundlagen auf ihrem Instrument lernen – dieses Ziel ist unter Lehrenden unstrittig. Einen Instrumentallehrgang in der Gruppe zu durchlaufen, ist zwar gut praktikabel; allerdings dürfte Konsens darüber bestehen, dass zum Beispiel individuelle Korrekturen oder komplexere Umstellungen von Ansatz, Strich, Zupftechnik etc. nicht im selben Maß und mit derselben Präzision und Beharrlichkeit möglich sind wie im Einzelunterricht. Was aber rechtfertigt dann den Gruppen- bzw. sogar Großgruppenunterricht? An erster Stelle mag hier der Breitenförderungsgedanke stehen und das Ziel, allen Kindern gleichermaßen kulturelle Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Auch auf mögliche Transfereffekte des Musizierens wird noch immer verwiesen.1
Häufig erst im Nachklang wird ein Argument angeführt, das in der Sphäre des Musikalischen liegt, nämlich die Möglichkeit, in der Instrumentalklasse etwas zu erlernen, was man im Einzelunterricht nicht oder zumindest weniger lernt: Zusammenspiel im Ensemble, musikalische Interaktion, Aufeinanderhören, gemeinsames Proben. Auf den ersten Blick selbstverständlich. Und doch erlebe ich auch bei mir selbst, wie schnell man in der komp­lexen, häufig etwas turbulenten, zwischen Ansprüchen vieler Kinder und zweier Institutionen vermittelnden Unterrichtspraxis diese Potenziale aus den Augen verliert bzw. hintanstellt zugunsten einer Probe, die solide ­Ergebnisse für das nahende Schulkonzert bringt und die Großgruppe durch den instrumentaltechnischen Basislehrgang schleust, um Voraussetzungen für das nächste Repertoirestück zu schaffen.
Insofern möchte ich mich selbst und interessierte Lehrende an Dinge erinnern, die wir wissen und doch oft vernachlässigen. Meinem Eindruck nach werden gerade die genannten Aspekte häufig als Selbstläufer, als sicheres Nebenprodukt betrachtet. Verkürzt gesagt: „Die Kinder spielen in einer Gruppe von 30 Schülerinnen und Schülern, also entwickeln sie automatisch Kompetenzen im Zusammenspiel. Sie erleben jede Woche eine Probe, also lernen sie durch praktische Erfahrung, wie man probt.“ Beides ist sicher nicht falsch. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass SchülerInnen mehr und auch motivierter lernen können, wenn Zusammenspiel, musikalische Interaktion, Aufeinanderhören und gemeinsames Proben bewusst und von Anfang an zu einem zentralen Gegenstand des Unterrichts gemacht werden; und dass anderenfalls Potenziale ungenutzt bleiben, die im Modell der Instrumentalklasse angelegt sind.

Achtsamkeit im Zusammenspiel

Konsequent den Fokus auf das sensible Zusammenspiel zu lenken, bedeutet eine Ausrichtung, der unmittelbar ein musikalischer Qualitätsanspruch immanent ist. Wenn SchülerInnen einer Instrumentalklasse zunehmend dafür sensibilisiert werden, dass es nicht nur darum geht, irgendwie die richtigen Töne zu spielen, sondern
– gemeinsam zu atmen,
– als ganzer Trompeten-, Cello- oder Gitarrensatz wirklich gleichzeitig einzusetzen, Töne synchron zu wechseln etc.,
– mit untereinander ausgewogener Lautstärke und
– gemeinsam mit einem bestimmten Ausdruck zu spielen,
– die anderen Stimmen wahrzunehmen und die eigene Stimme in das Gesamtgefüge einzuordnen,
dann wächst die Herausforderung, im Idealfall aber auch die Aufmerksamkeit der SchülerInnen für das musikalische Geschehen und seine Qualität. Jede und jeder Einzelne wird in die Verantwortung genommen, nicht nur zu „machen“, sondern auch wahrzunehmen, zu reagieren und gemeinsam zu gestalten. Nicht vor sich hin, sondern mit den anderen zu spielen.

1 vgl. zusammenfassend Katharina Bradler: „Didaktik des Instrumentalklassenunterrichts“, in: Andreas Lehmann-Wermser (Hg.): Musikdidaktische Konzeptionen. Ein Studienbuch, Augsburg 2016.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2019.