Hartmann, Thomas

Mama lauter! Gute Musik für Kinder

Kritischer Streifzug durch eine unterschätzte Gattung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: ConBrio, Regensburg 2021
erschienen in: üben & musizieren 1/2022 , Seite 57

Ähnlich wie in der Gastronomie werden Kinder auch musikalisch oft mit schlechten Produkten abgespeist. „Kindermusik“ als eine von Erwachsenen für Kinder produzierte Musik ist im Musikleben ein unzureichend kultiviertes und reflektiertes musikalisches Genre. Infantilisierende Klischees über die vermeintlichen Bedürfnisse von Kindern verhindern, dass diese in ihren musikalischen Potenzialen und Interessen ernstgenommen werden. Allerdings gibt es neben unterfordernden, geschmacksverbiegenden und erzieherisch fragwürdigen Machwerken auch zahlreiche KünstlerInnen, die sich mit Fantasie auf die Erlebniswelt von Kindern einlassen und ihnen ein breites Spektrum musikalischer Stilistiken eröffnen.
Die gegenwärtigen Erscheinungsformen von Musik, die sich primär an Kinder richtet, sind oft kaum überschaubar. Hier schafft Thomas Hartmann gründlich Abhilfe. Sein Buch bietet die bisher wohl profundeste Beschäftigung mit dem Thema Kindermusik. Nicht zuletzt aufgrund seiner zehnjährigen Arbeit als Musik­redakteur im Kinderhörfunk hat Hartmann einen umfassenden Überblick über das Genre Kindermusik mit all seinen Faktoren der Produktion und der Vermarktung. Mit enormem Kenntnisreichtum und mit großem Engagement verfolgt er sein Anliegen, Kindermusik aus der „Verblödungsspirale“ (Holger Noltze) herauszuholen, Qualitätskriterien zu entwickeln und an diversen Beispielen zu demonstrieren. Ihn leitet das Gebot, dass gerade Kinder musikalisch das Allerbeste verdienen, um ihre Entwicklungsmöglichkeiten durch differenzierte ästhetische Erfahrungen vielfältig anzuregen.
Das Buch umfasst einen nach Altersgruppen geordneten, kommentierten Katalog von empfehlenswerten Kindermusikproduktionen und behandelt u. a.: „Das Geschäft mit der Kindermusik“, „Künstlerische Entgleisungen“, „Kleine Labels und Verlage“, „Die Szene der unabhängigen Kinderliedermacher*innen“, „Die Herausforderungen eines Live-Events für Kinder“, „Das Kinderlied im historischen Zeitverlauf“, „Eine Würdigung von Fredrik Vahle und Rolf Zuckowski“, „Kindheit im 21. Jahrhundert“, „Musik für Kinder in den Medien“, „Studien über Kinder und Musik“, „Musikvorlieben für Kinder“, „Der Musikmarkt im Wandel“, „Die Chancen des digitalen Musikmarkts“, „Konzertreihen und Festivals“, „Erfolgsgeschichten“, „Popstars entdecken das Kinderlied“, „Ausgezeichnete Kindermusik“, „Förderprogramme“ und „Perspektiven“. Immer wieder beeindruckt Hartmann mit der Fülle der eingebrachten Fakten und Kenntnisse sowie der wohlbegründeten Dezidiertheit seiner Urteile.
Eine Korrektur: Brechts „Kinderhymne“ beginnt mit dem Vers „Anmut“ [nicht „Armut“] sparet nicht noch Mühe“. An Letzterer hat auch Hartmann wahrlich nicht gespart. Sein Buch ist ein Meilenstein in der Erschließung eines wichtigen, musikpublizistisch bislang vernachlässigten Musikbereichs.
Ulrich Mahlert