© Erich Malter

Lessing, Wolfgang

Mehrdimensional beleuchtet

Curriculares Wissen oder didaktisches Denken? Ein Vergleich

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2018 , Seite 12

Wendelin Bitzan und Helge Harding plädieren für eine Objektivierbarkeit musikalischer Leistungen in der Instrumentalpädagogik. Die Autoren meinen damit ­ausdrücklich “keine Normierung im Sinne einer ­Standardisierung musikalischer Leistungen”, gemeint sei vielmehr “ein lebendiger und dynamischer Katalog nachvollziehbarer Kriterien, der als Grund­lage für die individuelle Wahrneh­mung und Beurteilung des Gehörten dienen kann”. In diesem Zuge ­verweisen sie unter ­anderem auf die Kriterienkataloge des englischen Associated Board of the Royal Schools of Music (ABRSM). Grund genug, sich diese Kataloge etwas genauer anzuschauen.

Unter dem Schlagwort „Enjoyment through achievement“ definiert das ABRSM eine in acht unterschiedlichen Leistungsgraden gestaffelte Folge von Prüfungsleistungen. Innerhalb eines landesweit geknüpften Netzes von einzelnen Prüfungsstandorten können sich Instrumentalschülerinnen und -schüler diesen Prüfungen regelmäßig stellen. Gegenstand sind folgende Bereiche:
– „Performance skills“: Es müssen drei Werke aus unterschiedlichen Kategorien (meist Epochen) zu Gehör gebracht werden, wobei es für jede Epoche und jeden Leistungsgrad eine Werkliste mit ca. sieben bis zehn Titeln gibt,
– „Technical skills“: Tonleitern und Dreiklänge,
– „Notation skills“: Blattspiel und
– „Perception skills“: Gehörbildungstest.
Nicht nur die sehr begrenzte Stückauswahl, sondern auch die explizite Nennung von Bewertungskriterien soll eine transparente Vergleichbarkeit der einzelnen Leistungen ermöglichen. In Bezug auf „Performance skills“ werden fünf Dimensionen genannt, auf die bei den Prüfungen geachtet wird:
– „Pitch“: „highly accurate notes and intona­tion“,
– „Time“: u. a. „fluent, with flexibility where appropriate“,
– „Tone“: u. a. „sensitive use of tonal qualities“,
– „Shape“: „expressive, idiomatic musical shaping and detail“ und
– „Performance“: u. a. „vivid communication of character and style“.
Dieses Prüfungssystem trifft keinerlei Aus­sage über den Unterricht, der den Prüfungen vorausgeht bzw. an sie anschließt. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die genaue und engmaschige Stufung der aufeinanderfolgenden Leistungslevels in hohem Maße in die Struktur des zu diesen Prüfungen hinführenden Unterrichts eingreift. Um die dahinter stehende Vorstellung von Instrumentalunterricht soll es in diesem Beitrag gehen. Ich thematisiere also nicht die altbekannte Frage, ob Prüfungen im Instrumentalunterricht nun sinnvoll sind oder nicht, und werde mich auch nicht mit der bei Bitzan und Harding im Zent­rum stehenden Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit „objek­tiver“ Beurteilungskriterien bei Wettbewerben beschäf­tigen. All dies sind zweifellos wichtige Themen, mir geht es jedoch um das grundsätzliche Verständnis von Instrumentalunterricht, das in einer Orientierung an einem derartigen Prüfungssystem implizit mitschwingt.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2018.