Tervoort, Ulrike

Mehrwert oder „Viele Köche…“?

Fachtagung zu musikpädagogischen Programmen in Schulen am Beispiel der Stadt Essen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Ende Mai hatte der Landesmusikrat NRW nach Essen eingeladen, um mit VertreterInnen aus Stadt, Schule, Musikschule, Wissenschaft und Ministerium einen Tag lang mit kurzen Impulsvorträgen und moderierten Gesprächsrunden über musik­pädagogische Programme zwischen Schule und außerschulischen Partnern zu berichten und zu diskutieren. Dabei stand JeKi, demnächst JeKits, nicht im Vordergrund, sondern reihte sich ein in eine Vielzahl musikalischer Projekte.

Der sprechende Titel der Veranstaltung – „Mehrwert oder ,Viele Köche…‘?“ – lud ein, sich immer wieder dieser Metaphern zu bedienen. So hält jedes Restaurant/jede Schule mehrere Gerichte/Unterrichtsfächer auf der Speisekarte/Stundentafel bereit. Musikpädagogische Programme stehen dabei für einen Teil der Speisenauswahl. Die Köche/Lehrkräfte bringen bei der Zubereitung unterschiedliche Kompetenzen ein, aus denen schmackhafte Gerichte für die Kinder entstehen. Als wesentliches Gewürz nehme man Kommunikation. Und alle wünschen sich nichts sehnlicher, als dass die Kinder Geschmack an den Gerichten finden und satt werden.
Zwei Fragen standen im Vordergrund:
1. Welche Relevanz haben Programme außerschulischer Kooperationspartner für die Schülerinnen und Schüler?
2. Wie funktioniert die Vernetzung mit den Schulen aus Sicht der Kooperationspartner?
Die Fragestellungen wurden für die Primar- und Sekundarstufe in moderierten Ge­sprächen erörtert. Michael Dartsch fasste die Statements durch Impulse und Schluss­folgerungen zusammen. Dabei ging er schwerpunktmäßig auf die Bedeutung der musikbezogenen Kooperationen für die mu­sikalische Bildung ein, wo wir sonst doch allzu oft von den Sekundäreffekten musikpädagogischer Programme in Bezug auf So­zialverhalten, Konzentration oder Sprachförderung hören. Dartsch nannte vier wich­tige Aspekte musikalischer Bildung:
– Erfahrung,
– Ausdifferenzierung,
– Nachvollzug kultureller Produkte und
– Einbringen eigener Ideen.
Diese vier Punkte sind die Zutaten einer musikpädagogischen Kooperation – nicht nur in Bezug auf die Schülerinnen und Schüler, sondern auch auf die an der Kooperation beteiligten Lehrkräfte und Institutionen.

Erfahrung

Insgesamt sieben verschiedene Musikprogramme wurden vorgestellt, davon arbeiten drei an Grundschulen und vier an weiterführenden Schulen. Die drei Grundschulprogramme kooperieren alle mit der Folkwang Musikschule Essen: Neben dem JeKi-Programm, repräsentiert durch die Joachimschule in Essen-Kray, stellte die Folkwang Musikschule das Essener SingNetz (siehe dazu den Bericht in üben & musizieren 3/2015) vor, vertreten durch die Schule an der Heinickestraße in Essen-Zentrum, sowie ein Klassenmusizierprogramm mit dem Instrument Blockflöte an der Graf-Spee-Schule in Essen-Bredeney. Die Konzepte der weiterführenden Schulen sind sehr unterschiedlich: das Kulturagenten-Programm an der Erich-Kästner-Gesamtschule in Essen-Steele, der „Jamtruck“ der Folkwang Musikschule an der Gertrud-Bäumer-Realschule in Essen-Altenessen, Bläserklassen am Leibnitz-Gymnasium und ein Musikprogramm ohne Kooperationspartner an der Gesamtschule Nord in Essen-Vogelheim.

Ausdifferenzierung

Das Klassenmusizieren an der Graf-Spee-Schule und das Essener SingNetz starteten zunächst als AGs im Ganztag. Doch im Lauf der Zeit wurden diese Konzepte soweit verändert, dass sie mehr und mehr in das Schulleben integriert werden konnten. Durch die Zusammenarbeit zwischen Schule und Musikschule fand eine Differenzierung statt, die den Gegebenheiten eher entsprach. An der Graf-Spee-Schule gibt es für die beteiligten Lehrkräfte 45 Minuten pro Woche als Besprechungszeit. So forderte auch Werner Rizzi, dass die agierenden Partner Flexibilität einbringen müssten und die gewachsenen Strukturen vor Ort nicht ignorieren könnten.
Die Joachimschule, die das JeKi-Programm als Chance sieht, dass Kinder überhaupt mit musikalischem Handeln und Instrumenten in Kontakt kommen, arbeitet mit dem Übehaus Kray zusammen. Die Kinder werden von der Schule zum Üben abgeholt und individuell betreut, um Nachhaltigkeit möglich zu machen.
Die Bläserklassen des Leibnitz-Gymnasiums stellen eher ein herkömmliches Klassenmusizierkonzept an weiterführenden Schulen dar, wobei es dort keine reinen Bläserklassen gibt, sondern die musizierenden Kinder auf mehrere Klassen verteilt sind. Ein wichtiger Bestandteil der musikalischen Arbeit ist das gemeinsame Konzertieren. Auch an dieser Schule werden den beteiligten Lehrkräften 45 Minuten wöchentlich zur gemeinsamen Planung zur Verfügung gestellt. Vom gelungenen Er­geb­nis dieser Kooperation konnten sich alle zum Schluss der Tagung überzeugen.
Dagegen hat die Arbeit im Jamtruck nichts mit einem Klassenmusizierkonzept gemeinsam. Fünf bis sechs Jugendliche werden von der kooperierenden Schule ausgesucht, um während der Dauer von bis zu einem Jahr einmal wöchentlich eine Stunde in einer Band zusammenzuarbeiten. Dabei erhalten sie von zwei Musikschullehrkräften Unterstützung. Von Seiten der Gertrud-Bäumer-Realschule wurde auch Kritik geübt: So spielen die ausgewählten SchülerInnen nicht als Band zusammen ihre Werke ein, sondern wie im Tonstudio üblich nimmt jeder seinen Part alleine auf. Auf diese Weise werde das gemeinsame Musizieren zu wenig gefördert; die entstandenen Werke würden nicht Teil des Schullebens, wenn die SchülerInnen es nicht möchten. Eine Verzahnung mit dem Schulleben sei eher nicht gewünscht.
Die Gesamtschule Nord trennte sich nach einem Schuljahr vom Kooperationspartner Musikschule. Die MusiklehrerInnen vor Ort machen sich bis heute für ihr Musikprojekt stark und es ist fester Bestandteil des Schullebens. Die Erich-Kästner-Gesamt­schule kooperiert mit dem Kulturagenten-Programm des Landes NRW. Der Schwerpunkt dieses Projekts liegt jedoch eher im dramaturgischen Bereich.

Nachvollzug kultureller ­Produkte

Die beiden musikalischen Beiträge zu Beginn (Chorklassen der Schule an der Heinickestraße) und zum Schluss der Tagung (Bläserklassen des Leibnitz-Gymnasiums) waren Ergebnisse der musikpädagogischen Arbeit. Dabei kann die Präsentation als ein wesentlicher Bestandteil dieser Konzepte gesehen werden. Walter Lindenbaum betonte, dass die Programme zur Weiterentwicklung der Musikkultur beitragen sollen. Doch was ist Musikkultur? Das Schaffen einer simplifizierten Parallelwelt kann damit jedenfalls nicht gemeint sein, so Dartsch. Um einen Nachvollzug kultureller Produkte zu gewährleisten, muss die Begrifflichkeit der beiden handelnden Parteien auf einen Nenner gebracht werden. Das, was unter Musikkultur von Seiten der Schule bzw. des außerschulischen Partners verstanden wird, könnte ein Thema für eine weitere Tagung sein.

Einbringen eigener Impulse

Kinder haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, ebenso ein Recht auf selbstbestimmten Umgang mit Musik. Die Wege zur Musik müssen vielen Kindern jedoch zunächst aufgezeigt werden. Das JeKi/JeKits-Programm kann dafür nur ein Impulsgeber sein, denn dort, wo die Kinder den Umgang mit Musik erst lernen müssen, bedarf es zusätzlicher Einrichtungen wie beispielsweise des Übehauses in Essen-Kray (siehe dazu den Bericht in üben & musizieren 6/2012). Die Verteilungsgerechtigkeit kultureller Bildung – so Holger Noltze – ist leider keine Selbstverständlichkeit und bedarf oft einer solchen Unterstützung.

Fazit

Musikpädagogische Programme befinden sich in einem dynamischen Prozess, der sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird. Das Ziel ist noch nicht in Sichtweite. Daher benötigen wir auf jeden Fall in Zukunft weitere Tagungen, um im Gespräch zu bleiben. Der Besuch der Ministerin für Schule und Weiterbildung NRW, Sylvia Löhrmann, zeigte das hohe Interesse des Landes am Thema und die Bereitschaft, diese Prozesse voranzutreiben.
Das JeKi/JeKits-Programm macht es vor, dass Musikpädagogik nicht in einer „Projektitis“ stecken bleiben darf. Die systematische Verankerung musikpädagogischer Programme mit außerschulischen Partnern sollte zu einer selbstverständlichen Aufgabe der Länder – nicht nur in Nordrhein-Westfalen – werden. Und was wird noch benötigt? Michael Dartsch fasste zusammen: Räume, Zeit für das Üben, Übementoren, möglichst keine Bürokratie, Stärken der Kompetenzen der durchführenden Lehrkräfte und – Geld, Geld, Geld…