Rosa, Gudula

Meine App

„Passaggi“ – Historische Improvisationen und Ornamentik üben

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 4/2020 , Seite 43

Passaggi ist ein innovatives Medium zum Studieren und Üben historischer Improvisationen und Ornamentik vornehmlich der Renaissance und des Frühbarocks. Die App richtet sich in erster Linie an versiertere SpielerInnen von Melodieinstrumenten und an SängerInnen, Studierende und Profis, bietet aber auch fortgeschrittenen SchülerInnen einige Übemöglichkeiten und lässt sich als Basis für erste Improvisationen im Instrumentalunterricht einsetzen. Vorweg: Es handelt sich um eine App mit Suchtcharakter! Stundenlanges Improvisieren und Musizieren mit hochwertigen, klangschönen Orgel-Play-alongs ist garantiert.
Auf der benutzerfreundlichen Oberfläche finden sich aktuell zehn Sammlungen:
– „Improvising on a Ground“: bekannte Os­tinato-Basslinien wie Passamezzo Antico, Bergamasca, Greensleeves, Pachelbel-Kanon etc. für leicht Fortgeschrittene, die zur Orgelbegleitung einfach nur die Melodie spielen oder munter drauflos improvisieren wollen (Noten mit Spielanweisungen auf Englisch gibt es zum freien Download auf der Seite des Septenary-Verlags).
– „Descending Tetrachords“: sich wiederholende, absteigende Tetrachorde in verschiedenen Tonarten und Harmonisierungen, die als Gerüst dienen, über dem improvisiert werden kann (Noten dazu ebenfalls zum freien Download bei Septenary).
– „Practice Drones“: zwei Sammlungen (eine für hohe, eine für tiefe Instrumente) von Bordunen mit offenen Quinten, die jeweils eine Minute ausgehalten werden und den Rahmen zum Improvisieren bilden.
– „Diego Ortiz: Madrigale and Basses from ,Trattado de Glosas‘ (1553)“: Begleitungen zu acht Ricercaren und drei Madrigalen aus Ortiz’ zentralem Werk der Verzierungspraxis im 16. Jahrhundert.
– „G. B. Bovicelli: Regole (1594)“: Begleitungen zu acht Madrigalen (u. a. Io son ferito, Anchor che col partire) von Palestrina, de Rore, da Victoria und Merulo aus Bovicellis wichtigem Diminutionslehrwerk Regole, passaggi di musica, madrigali et motetti passeggiati. Die Noten dieser Sammlung sind als Neuausgabe zum Download (Partitur, Stimmen und Diminutionen mit Klavierauszug) beim Septenary-Verlag, das Gesamtwerk bei Walhall erhältlich.
– „The Carlo G Manuscript“: Dieses interessante Manuskript (ca.1600-1620) mit liturgischen Stücken für ein oder zwei verzierte Vokalstimmen und ausgeschriebener Orgelbegleitung wurde vor 18 Jahren auf einem Wiener Flohmarkt entdeckt. Neben Kompositionen von Carlo G., über den es keine Informationen gibt, enthält das Manuskript auch einige Stücke (oder Bearbeitungen) von Caccini, Marenzio, Quagliati, Giacobbi und Barbarino. 29 ausgewählte, virtuos verzierte Werke hat der Baseler Experte Alter Musik Elam Rotem ediert und bei IMSLP der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Orgelbegleitungen hierzu befinden sich auf der App und geben beim Studium einen tiefen Einblick in die Musik der Zeit.
– „Giovanni Bassano: Bass and Bassetto Diminutions“: Begleitungen zu neun wunderschönen Madrigalen (z. B. Ancor che col partire, Fuit homo, Quando signor) unterschiedlichster Komponisten (Palestrina, da Rore, Striggio u. a.) aus Bassanos Sammlung Motetti, madrigali et canzone franceses von 1591, über welche die Diminutionen des großen Verzierungsmeisters musiziert werden können. Wenig geübten SpielerInnen sei hier das Mitspielen der unverzierten Oberstimme empfohlen, um harmonische Zusammenhänge zu ergründen, die Lesetechnik auf Halben zu trainieren oder das Intonieren zu üben. Eine moderne Notenausgabe dieser Sammlung ist über den Septenary-Verlag zu beziehen.
– Noch im Enstehen ist die Sammlung zu G. Dalla Casas Il vero modo di diminuir (1584). Hier gibt es bislang nur die Begleitung zu de Rores La bella netta ignuda.
– Ende April kostenfrei hinzugekommen ist die Sammlung „Bovicelli Competition“: Begleitungen zur Werkliste des coronabedingt online stattfindenden Bovicelli-Wettbewerbs zur Diminutionspraxis des 16. und 17. Jahrhunderts der Schloss Weißenbrunn Stiftung.
Die Benutzeroberfläche ist einfach und intuitiv zu bedienen. Ein Klick auf die gewünschte Sammlung öffnet die übersichtliche Werkliste; ein weiterer bringt den User zum ausgewählten Stück und öffnet ein Fenster, in dem man starten und per Schieberegler vor- und zurückspulen kann. Hier lässt sich auch die Stimmtonhöhe stufenlos zwischen 392 und 520 Hz einstellen, sodass die App für SpielerInnen mit Instrumenten historischer Stimmungen ebenso geeignet ist wie für diejenigen, die ein Instrument in moderner Stimmung in den Händen halten. Auch das Tempo lässt sich variabel per Schieberegler von 30 bis 100 MM verändern. Vor jedem Stück erklingt vom Metronom ein Takt vorweg, sodass der Beginn und das Tempo definiert sind. Jedes Werk lässt sich loopen, sodass man ein Stück bei Bedarf mehrmals oder per Endlosschleife wiederholen kann.
Die englische Zinkenistin Helen Roberts und der schwedische Posaunist Daniel Stighäll haben mit Passaggi eine attraktive App entwickelt, die eine Fülle an professionell aufgenommenen Play-alongs bietet und ein gut ausgearbeitetes Werkzeug an die Hand gibt, um Standardwerke und weniger bekannte Stücke dieser Epochen kennenzulernen, sein Repertoire zu erweitern und das Diminuieren und Improvisieren zu üben. Es handelt sich um eine App, die alle SpielerInnen Alter Musik beglücken und in ihren Bann ziehen wird.

www.passaggi.co.uk
Entwickler: The Septenary Foundation
System: iOS und Android
Preis: 16,99 Euro

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