Hempel, Christoph

Meine App

„Wolfie“ – Klavierunterricht auf der Höhe der Zeit

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 12

Wer den ersten Kulturschock – iPad statt Notenbuch auf dem Notenbrett des Klaviers! – überstanden hat, erhält mit Wolfie ein pfiffig programmiertes Hilfsprogramm für den Klavierunterricht mit erstaunlichen Fähigkeiten. Was kann die eng­lischsprachige App? Klavierstücke aus einer mitgelieferten Bibliothek laden, im Notenbild darstellen und bei der Wiedergabe umblättern, das Klavierspiel des Lehrers oder Schülers aufnehmen und wiedergeben, einen Statusbalken synchron zu Aufnahme (!) und Wiedergabe mitlaufen lassen, PDF-Versionen importieren und darstellen, eine MIDI-Datei der ausgesuchten Komposition abspielen, das Stück in verschiedenen Versionen aus der YouTube-­Bibliothek in einem Videofenster abspielen sowie bei allen Wiedergabearten durch Tap auf die Noten an beliebige Stellen springen – und das alles kombiniert mit den Features einer Grafik-App wie Markierungen, Einzeichnungen und farbigen Unterlegungen. SchülerInnen und Lehrkräfte finden in Wolfie das Niveau medialer Ausstattung, das Kinder heute gewohnt sind.
Das Repertoire der verfügbaren Stücke bildet die Unterrichtsliteratur der Unter- bis Mittelstufe ab; es reicht von elementaren Klavieretüden über Popmusik bis zu mittelschwerer Klavierliteratur der Romantik sowie Klavierarrangements populärer Orchester- und Vokalkompositionen. Die Stücke der Bibliothek sind programmtechnisch aufbereitet, sodass man auf das Angebot von Wolfie beschränkt ist. Neben einem Grundstock von frei verwendbaren Stücken werden gegen Aufpreis weitere Bibliotheken angeboten. Allerdings können auch beliebige PDF-Notendateien aus der bekannten digitalen Notenbibliothek IMSLP importiert und mit Kommentaren versehen, allerdings nicht abgespielt werden.
Hat man ein Stück ausgewählt, werden die Noten in einem exzellenten Layout und passabler Größe dargestellt und es eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten: Die Funktion „Annotate“ stellt Texteinfügung, Zeichenstift und Farbmarker zur Verfügung. Das mit Notizen versehene Notenblatt kann unter eigenem Namen gespeichert werden. Mit der Funktion „Practice“ kann man das eigene Spiel über das eingebaute Mikrofon aufnehmen. Ein Cursor wartet auf den Beginn, ermittelt das Tempo und wandert dann synchron zum Spiel über das Notenbild. Wolfie blättert pünktlich um und findet auch die richtige Stelle wieder, wenn man einen Takt wiederholt oder stecken bleibt. Ein Metronom ist zuschaltbar. SchülerInnen können also auf­genommene „Lehrerversionen“ mit nach Hause nehmen und eigene Aufnahmen speichern.
„Listen“ ist die vielseitigste Funktion: Man kann alle eigenen Aufnahmen anhören, ein YouTube-Video mit einer professionellen Darbietung oder eine MIDI-Datei des Stücks abspielen lassen. Letzteres bietet bei aller klanglicher und interpretatorischer Einschränkung die Möglichkeit, das Tempo beliebig zu verändern oder eine Stimme auszublenden. In einem integrierten Video-Tutorial führt der Entwickler in die Funktionen des Programms ein.
Die Funktion „Evaluate“, also eine musikalisch-pädagogische Bewertung der eingespielten Version, ist noch in der Entwicklung. Der Anbieter betritt damit ein äußerst subjektives Gebiet der Instrumentalpädagogik; man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Die immer wieder aufgeworfene Frage nach dem Mehrwert digitaler Versionen gegenüber bewährten pädago­gischen Werkzeugen stellt sich bei Wolfie nicht: Das Programm macht einfach Spaß, ist medial auf der Höhe der Zeit und engt SchülerInnen und Lehrkräfte nicht ein.
Wolfie ist nur für iPad erhältlich. Für den ersten Test gibt es eine kostenlose Demo-Version. Ein Monats-Abo kostet 9,99 Euro, ein Jahres-Abo 59,99 Euro. Liebe Klavier-LehrerInnen, probieren Sie die App doch einfach mal aus. Vielleicht sind Ihre Schülerinnen und Schüler gar nicht so befremdet, wie Sie erwartet haben. Und Sie selbst auch nicht!