Mohrs, Rainer

Meister des musikalischen Crossover

Zum 100. Geburtstag des Komponisten Eduard Pütz

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2011 , Seite 46

„Wer schreibt uns neue Kinderszenen?“, war eine der Fragestellungen beim Kongress des Verbands deutscher Musikschulen 1999 in München. Beklagt wurde dort, dass nur wenige KomponistInnen leicht spielbare neue Musik für die Arbeit an Musikschulen schreiben. Der Leiter der Podiumsdiskussion, Reinhart von Gutzeit, nannte damals unter anderem einen Namen, den viele vielleicht zum ersten Mal hörten: Eduard Pütz.
Eduard Pütz (1911-2000) hat viele Werke für die Musikschulpraxis geschrieben. Werke, welche die Kriterien erfüllen, die Instrumentallehrkräfte an neue Musik für Kinder stellen: leichte Spielbarkeit, Verständlichkeit, Freude bei Spielenden und Hörenden. Durch den unmittelbaren Kontakt mit Schülerinnen und Schülern hatte Pütz die Wünsche der Praxis aus nächster Nähe kennen gelernt, als Musiklehrer am Gymnasium in Rheinbach (1950-1965) und als Theorielehrer an der Rheinischen Musikschule in Köln (1965-1979). Oft komponierte er Stücke auf Anregung von Kollegen oder auf Wunsch von Kindern und Jugendlichen, etwa sein wohl bekanntestes Werk für den Klavierunterricht: Mr. Clementi goin’ on holidays (1976). „Die Mutter eines Schülers sprach mich an“, erläuterte Pütz, „und klagte: ,Mein Sohn muss im Klavierunterricht so viele Tonleitern und Etüden üben. Er hat keine Lust mehr, Klavier zu spielen. Immer dieser Clementi, ewig dieser Czerny!‘ Da habe ich ihm diese Stücke geschrieben, sie greifen musikalisch auf Jazz und Pop zurück und sollen Spaß machen.“
Eduard Pütz ging es um die Überwindung der Grenzen zwischen der „ernsten“ und „unterhaltenden“ Musik. Seine Kompositionen beziehen daher oft Stilmerkmale der Jazz- und Popmusik ein. Dazu sagte er selbst: „Ernste und leichte Musik haben sich in unserem Jahrhundert stark auseinander entwickelt, was früher nicht der Fall war. Vor Jahren war diese Trennung noch stärker, heute scheint sich bei vielen wieder beides zusammenzufinden. Ich habe immer dazwischen gestanden. Viele Menschen sehen in der gleichzeitigen Beschäftigung mit Unterhaltungsmusik und ernster Musik eine Verletzung der künstlerischen Reinheit. Sie haben vielleicht recht. Aber Brecht schrieb über das Theater: ,Eine der wichtigsten Funktionen des Theaters ist die Unterhaltung.‘ Wenn ich meine Neigung zu leichteren oder eingänglicheren Formen der Musik unterdrücken würde, wäre ich nicht ehrlich.“
Wichtig war ihm zuallererst die Motivation des Spielers, der gerade im Unterricht Freude an der Musik haben sollte. Dazu war es aus seiner Sicht unumgänglich, dass Elemente aus jener Musik aufgegriffen werden, die junge Leute gerne hören: aus der populären Musik. Dies tat Eduard Pütz umso lieber, als er selbst ein exzellenter Jazzpianist war und sich in der Nachkriegszeit mit Tanz- und Jazzmusik seinen Lebensunterhalt verdiente. Schaut man die jazzorientierten Stücke von Eduard Pütz an, etwa die Jazz Sonata für Klavier (1988) oder die Blues Fantasy (1991) für sechs Celli, so fällt auf, dass sich diese Stü­cke wesentlich von dem großen Angebot an populärer Musik unterscheiden, das heute auf InstrumentalpädagogInnen einströmt: Pütz’ Musik besitzt eine ausgefeilte Satztechnik, sie ist nie primitiv oder einfach nur gefällig, sie stellt Anforderung an die Hörgewohnheiten. In vielen Werken von Eduard Pütz stehen zeitgenössisch komponierte Teile neben jazzorientierten Abschnitten und diese Mischung gibt seiner Musik ihren besonderen Reiz.
Man spürt, dass hier ein Komponist am Werk ist, der sein Handwerk gelernt hat und die Entwicklung der zeitgenössischen Musik nach 1950 genau kannte. Dies gilt z. B. für seine Harmonik: Sie ist inspiriert von der erweiterten Tonalität Hindemiths und Strawins­kys, von den tonalen Modi Messiaens, aber auch von der Harmonik des Jazz. An Hindemiths Kompositionslehre faszinierten ihn zwei Aspekte: die Idee einer Anordnung der Klänge nach dem Prinzip des „harmonischen Gefälles“ (die Akkorde werden nach der Schärfe und dem Dissonanzgrad sortiert) ­sowie das melodische Prinzip des Sekundgangs (die Verbindung der Höhepunkte von Melodien untereinander durch Sekundschritte). Dieses melodische Gestaltungsmittel empfand Pütz als fundamental, es gilt in der klassischen Musik ebenso wie in der Unterhaltungsmusik oder im Jazz. Die Schnittmenge zwischen den Stilen war sein Thema: Pütz war ein Grenzgänger zwischen Jazz und ­neu­er Musik, ein Meister des musikalischen Crossover.
Eduard Pütz hat auch anspruchsvolle Werke geschrieben, die sich an professionelle MusikerInnen wenden: Orchesterwerke, Solokonzerte, zwei Streichquartette oder das Klavierstück Hälfte des Lebens (1975) nach einem Gedicht von Hölderlin. Für die Musikschul­arbeit inte­ressant sind aber die leicht spielbaren Werke für Klavier, für Soloinstrumente mit Klavier und verschiedene Kammermusikbesetzungen. Diese Werke bereichern das Literaturangebot, weil sie Formprinzipien aus dem Jazz in die Instrumentalmusik einführen: Ballade, Blues, Jazzsonate, Jazzwalzer, Tango und vieles mehr. Für Anfänger am Klavier eignen sich die Zyklen Mr. Clementi goin’ on holidays (1976) und I’m sorry, Mr. Czerny (1988), kleine Übungsstücke, die sicher mehr Spaß machen als manche trockene Originaletüde aus dem 19. Jahrhundert. Mittleren Schwierigkeitsgrad haben die vierhändigen Klavierstücke Let’s play together (1994) und die Jazz-Sonatine (1998), die im 1. Satz mit zwei kontrastierenden Themen arbeitet (siehe Notenbeispiel). An gute Oberstufenschüler oder „Jugend musiziert“-Teilnehmer wendet sich die Jazz Sonata (1988), ein virtuoses Werk, das eine Brücke zwischen Komposition und Improvisation schlägt und Formprinzipien aus Jazz und klassischer Sonate zu einer Synthese führt.
Im Bereich der Kammermusik ist Literatur mit Jazz- und Pop-Einflüssen nicht so häufig zu finden wie in der Klaviermusik. Hier schließen die Werke von Pütz eine Lücke, zum Beispiel die Short Stories für Cello und Klavier (1994): Die Stücke sind in der 1. bis 4. Lage spielbar und verwenden Formen wie Jazzwalzer, Spiritual oder Blues. Für Streicher inte­ressant sind der Tango für vier Celli (1992) und Twilight Dream für Violine und Klavier (1983), ein balladenhaftes Werk mit einem ausdrucksstarken Jazzthema, das aber auch rhythmisch komplexe zeitgenössische Abschnitte hat. Ein beliebtes Wettbewerbsstück ist Blues for Benni für Viola und Klavier, komponiert 1991 für einen Preisträger des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“.
Die Musik von Eduard Pütz ist ein Geheimtipp für die Musikschulpraxis. Am 13. Februar 2011 wäre er 100 geworden – Gelegenheit, sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2011.