Bartók, Béla

Mikrokosmos

Bände I-II/III-IV/V-VI

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle/Editio Musica Budapest, München/Budapest 2018
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , Seite 54

Keine zwei Jahre ist es her, da hat die Universal Edition mit der Neuausgabe des kompletten ­Mikrokosmos von Béla Bartók höchste Maßstäbe gesetzt. Nun ist der Henle-Verlag diesem Beispiel gefolgt und hat ebenfalls die sechs Bände in den von Bartók ursprünglich gewünschten drei Bänden neu verlegt. Die bekannte Abfolge der Stücke bleibt erhalten und der gut lesbare, übersichtliche Notensatz richtet sich nach der leicht korrigierten englischen Erstausgabe von 1940.
Im Vorwort weist Yusuke Nakahara auf die bedeutende Stellung hin, die Bartók kompositorisch, didaktisch und im Hinblick auf die Wiederbelebung und künstlerische Integration des Liedguts verschiedener Länder und Kulturen inne hat. „Ganz unabhängig von einer eindeutigen Zuordnung der musikalischen Einflüsse kann man [die Sechs Tänze im bulgarischen Rhythmus] auch sehr gut als Beispiele einer imaginären Volksmusik begreifen, die Bartóks persönliches Credo einer Brüderlichkeit der Völker, die alle künstlichen Grenzen überschreitet, ausdrücken soll.“
Zugefügt sind einige Anmerkungen des Komponisten zur Erstausgabe, die es bisher in den deutschsprachigen Ausgaben so nicht gab. Hier weist Bartók im ersten Band auf die Bedeutung der kirchentonalen Modi hin, welche er später zu den einzelnen Stücken genauer erläutert. „Die Kirchentonarten waren im Mittelalter gebräuchlich, bis etwa zum 17. Jahrhundert. Doch seit J. S. Bach wurden sie in der Kunstmusik durch die Dur- und Molltonleiter ersetzt. Dennoch finden sie in der Volksmusik Osteuropas und Asiens noch reichlich Verwendung und sind alles andere als überholt.“
Ein weiterer Schatz findet sich in jedem Band zu Beginn, wo jeweils eine Ablichtung der originalen Handschrift des Komponisten zu bewundern ist. Im ersten Band sind es zwei Stücke aus den Vier Melodien im Unisono (Nr. 20 und 21) und es fällt sofort auf, dass die Akzente nur in der rechten Hand stehen, was für ein viel differenzierteres Klangbild sorgt, als wenn beide Hände gleichzeitig die Akzente spielen.
Im zweiten Band sind gleich drei Stücke auf einer Seite wiedergegeben: Die Kleine Studie (Nr. 77) und die beiden Widmungen an Johann Sebastian Bach und Robert Schumann (Nr. 79 und 80). Im dritten Band ist es der Beginn des ersten Tanzes im bulgarischen Rhythmus (Nr. 148). Hier ist an der Handschrift der erfahrene Orchesterkomponist zu erkennen, an der Art, wie er die Ostinatofiguren der linken Hand notiert hat. Bedeutungsvoll ist Bartóks Hinweis, dass die beiden Chromatischen Inventionen (Nr. 145 a und b) einzeln und an zwei Klavieren gleichzeitig gespielt werden können.
Im zweiten Band schlägt Bartók beim Bulgarischen Rhythmus 1 (Nr. 113) vor, die Wiederholung in der rechten Hand in Oktaven zu spielen. Dazu gibt es in der Ausgabe im Anhang die Transkription einer Aufnahme des Komponisten. Eine absolut empfehlenswerte Urtext-Edition des Mikrokosmos.
Christoph J. Keller