Bartók, Béla
Mikrokosmos
16 Stücke für Gitarre, bearbeitet von Siegfried Steinkogler
Zumindest die ersten der insgesamt sechs Hefte des Mikrokosmos von Béla Bartók liegen irgendwann auf den Klavierpulten. Die insgesamt 153 Klavierstücke mit graduell zunehmenden Schwierigkeiten gehören zu den berühmtesten Sammlungen von didaktischen Klavierstücken. Sie entsprangen Bartóks Idee, eine eigene Klavierschule zu schreiben, und spiegeln die Klangwelt des ungarischen Komponisten.
Bei der Zusammenstellung der Kompositionen waren ihm möglichst nahtlose Übergänge von der einen zur nächsten Aufgabenstellung wichtig. So entstand ein Kosmos im Kleinen von Stücken in vielen verschiedenen, doch stets bartóktypischen Stilen. Die letzten beiden Bände vereinen Übematerial für angehende Profis. Bartók selbst spielte gerne bei seinen Konzerten aus seinem Mikrokosmos.
Um auch GitarristInnen diesen Mikrokosmos zu eröffnen, hat Siegfried Steinkogler aus den Heften drei bis fünf insgesamt 16 Stücke für Gitarre solo bearbeitet und in einer schönen, einwandfreien Ausgabe bei der Universal Edition vorgelegt. Die kurzen Kompositionen sind mal lyrisch-nostalgisch wie das Notturno Nr. 97, mal basieren sie auf bulgarischer und ungarischer Volksmusik und kommen wie in den Nummern 113 und 115 in raschem Tempo in ungeraden Takten (7/8, 5/8) daher. Fast schon wie für Gitarre komponiert klingt und spielt sich das letzte heitere, fast sorglos klingende Stück der Sammlung, „Hanswurst“ (im Original „Hampelmann“), mit seinem aufwärtsspringenden Dreiklangsmotiv.
Das Spielen dieser Gitarrenbearbeitungen erfordert eine sehr saubere Technik und ist für recht fortgeschrittene GitarristInnen gedacht. Steinkoglers Bearbeitungen sind sehr nah am Originaltext, er bleibt stets in der Originaltonart (auch wenn Bartók selbst durchaus Transkriptionen zuließ) und entscheidet sich im Zweifelsfall immer für die klaviergetreue Variante, nicht für die einfachere. So müssen manche kniffligen Fingersätze bewältigt werden.
Zu Bartóks pädagogischem Konzept gehört, den Stücken technische Hinweise oder Anmerkungen beizugeben, die interpretatorische Hilfestellungen geben können: „Erinnert an Chopin“ oder „Charakter wie in Schumanns Musik“ ordnet die Stücke gleich richtig ein. Steinkogler führt die für GitarristInnen und die vorliegende Auswahl relevanten Hinweise Bartóks in seinem Vorwort auf und gibt zudem gute Interpretationshinweise und Tipps.
Die Stücke scheinen in der Gitarrenbearbeitung an Schwierigkeit ordentlich zuzulegen. So dürften die Oktavparallelen und chromatischen Passagen in der Chromatischen Invention Nr. 92 für Klavier besser zu bewältigen sein. Dies mag dem Erfolg der vorliegenden Ausgabe etwas im Wege stehen. Doch es bietet sich hier auf jeden Fall die Chance, endlich auch Bartóks Musik in guter Bearbeitung auf der Gitarre zu spielen – Grund genug, diese Auswahl für Fortgeschrittene sehr zu empfehlen.
Uwe Sandvoß