Herbst, Sebastian

Mit Zertifikat zu mehr Nachwuchs?

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 3/2023 , Seite 41

Der Nachwuchsmangel im musikpädagogischen Bereich wird zurecht schon länger beklagt – besonders deutlich in der kürzlich verabschiedeten Kasseler Erklärung des Verbands deutscher Musikschulen (VdM). Der VdM spricht von „einem bedrohlichen Mangel an Fachkräften“, der zu „drastischen Schwierigkeiten bei den Musikschulstrukturen und vor allem bei der Aufrechterhaltung des Unterrichtsangebotes führen“ wird. Als Ursache des Mangels werden unattraktive berufliche Rahmenbedingungen bei steigenden Anforderungen und die unzureichende Zahl an Hochschulabsolvierenden ausgemacht.
Für HochschulabsolventInnen braucht es geeignete StudienbewerberInnen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten in VdM-Musikschulen die Abteilungen der Studienvorbereitenden Ausbildung (SVA). Im statistischen Jahrbuch 2021 des VdM zeigt sich, dass die Zahl der SVA-SchülerInnen seit 2009 auch leicht gestiegen ist, wobei die Zahl derjenigen, die davon pro Jahr ein musikbezogenes Studium aufnehmen, zumindest konstant bleibt. Rund 1000 der ca. 4000 SVA-SchülerInnen verteilen sich jährlich auf die musikbezogenen Studiengänge. Weitere SchülerInnen aus anderen Kontexten kommen hinzu.
Wieso also Nachwuchsprobleme? In den VdM-Statistiken zeigt sich auch, dass sich die Zahl der SchülerInnen von 1984 bis 2020 beinahe verdreifacht hat, nicht zuletzt, weil sich Musikschulen stetig neue Zielgruppen erschließen. Neue Zielgruppen und ein erweitertes Angebot erfordern mehr Personal, das künstlerisch-pädagogisch breit aufgestellt sein muss, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Dafür ist die SVA nicht allein verantwortlich. Mit Blick auf ihren Beitrag zur Gewinnung musikpädagogischen Nachwuchses wäre je­doch eine SVA-Gestaltung wünschenswert, die Lust auf musikpädagogische Studiengänge und Berufe macht.
Mit dem Ziel der Nachwuchsgewinnung sowie zur „Zukunftssicherung der musikalischen Bildung und der Musikkultur in Baden-Württemberg und darüber hinaus“ wirft nun der Landesverband der Musikschulen (LVdM) Baden-Württemberg mit Unterstützung des Kultusministeriums Baden-Württemberg und der Musikhochschulen einen besonderen Blick auf die SVA seiner Musikschulen. Auch wenn der VdM schon ein fünf Jahre gültiges SVA-Zertifikat für Musikschulen bei Erfüllung der SVA-Richtlinien vorsieht, bietet der LVdM Baden-Württemberg seinen Mitgliedsschulen nun die Möglichkeit der SVA-Zertifizierung auf Landesebene für jeweils vier Jahre, im Rahmen derer mit der Möglichkeit eines Zuschusses von (etwas vage formuliert) bis zu 60 Prozent der anfallenden Personalkosten für zusätzliche 30 Minuten Unterricht im Hauptfach und 30 Minuten Nebenfach gelockt wird. Zur Sicherstellung der Qualität ist jährlich ein Bericht über den aktuellen Stand und die Fortschritte der SVA beim Landesverband einzureichen. Und wer die Anforderungen noch nicht erfüllt, kann an einer sogenannten Pre-SVA-Zertifizierung für maximal zwei Jahre teilnehmen (allerdings ohne Förderung) – mit dem Ziel der Weiterentwicklung hin zu einer SVA, die alle Anforderungen erfüllt.
Zur Zertifizierung müssen neben einer maximalen Unterrichtsgebühr, die die Gebühr von 45 Minuten Einzelunterricht nicht überschreiten darf, sowie einer Prüfung, die über die Aufnahme von SchülerInnen in die SVA entscheidet, weitere Kriterien erfüllt werden: Mindestumfang der Unterrichtszeit im Haupt- und Nebenfach sowie Teilnahme an Musiktheorie/Gehörbildung, Ensemble/Orchester sowie Vorspielen/Kon­zerten. Kein Zweifel, das ist wichtig – auch, um die Aufnahmeprüfungen an Musikhochschulen zu bestehen! Für eine SVA, in der sich die Motivation für musikpädagogische Tätigkeiten unter Berücksichtigung künstlerisch breit aufgestellter Interessen entwickeln kann, dürften aber besonders weiterführende Angebote, wie die im Antrag zur Zertifizierung abgefragten, relevant sein.
Gefragt wird zum einen nach Workshopangeboten in Improvisation, Komposition, Rhythmik, Tanz, Bühnenpräsenz, Auftritts­training oder zum Einsatz digitaler Produktions- und Aufzeichnungstechnik. Zum anderen wird nach Informationsangeboten zur Berufsorientierung, Beratungsangeboten durch die Schulleitung/Fachbereichsleitung, Praktika im Kontext der Musikschularbeit und Workshops im Bereich der EMP gefragt. Die grundständige Implementierung solcher Angebote in die SVA erscheint zentral, wenn ernsthaft an der Reduzierung des Nachwuchsmangels gearbeitet werden soll.
Darüber hinaus wird sinnvollerweise nach einer der SVA vorausgehenden Begabtenförderung gefragt, z. B. „ein Findungs- und Beratungskonzept musikalisch hochbegabter Grundschulkinder“ oder Angebote für ermäßigten/gebührenfreien Musiktheorie-, Gehörbildungs- und/oder zusätzlichen Hauptfachunterricht. Die Nachwuchsgewinnung setzt eben vor der bereits aufnahmeprüfungsbeschränkten SVA an.
Wäre es nicht sinnvoll, wenn Fördermittel insbesondere auch in die zusätzlichen, nicht zum Standardrepertoire von Musikschulen gehörenden Angebote fließen, die Lust auf pädagogische Themen machen?

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2023.