© Daniela Gonzalez-Ivanov

Sobirey, Wolfhagen

Mittendrin – mit allen Sinnen

Ideen und Beispiele für die Planung von Kinderkonzerten

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2022 , Seite 30

Das haben wir alle schon erlebt: Beim Kinderkonzert tritt ein Moderator auf, spricht gar nicht von der kommenden Musik, macht irgendwelche Scherze, ist vielleicht auch verkleidet, z. B. als Clown. Nennen wir das: musikfern. Aber er versucht, die Aufmerksamkeit der Kinder auf das Bühnengeschehen zu lenken. Unklar, wie lange diese Aufmerksamkeit hält, wenn die Musik erklingt. Unklar, wie viel die Kinder von der Musik mitbekommen. Ob es nur ein Hören ist oder schon ein Zuhören?

Kinder lachen gern, doch für Erwachsene ist es nicht leicht, in Text und Auftritt wirklich kindgerecht witzig zu sein. Schnell wirkt so etwas nur gewollt – und die Kinder fremdeln. Und Vorsicht: Wir sollten die Musik nicht zur Medizin machen, die auf einem großen Löffel Zucker gereicht wird! Die Musik selbst soll berühren, der Clown darf nur die Brücke sein, über die die Kinder zur Musik gelangen.

Musiknah oder ­musikfern?

Musiknäher ist es, die Aufmerksamkeit gezielt auf den zu erwartenden Klang zu richten, auf ein Detail, das gleich zu entdecken ist, oder auf eine zu erwartende, auffällige Spielaktion eines Musikers oder einer Musikerin. Eine kleine Geschichte kann erzählt werden, die auf die Musik einstimmt, oder eine für Kinder interessante Anekdote aus der Kindheit des Komponisten. Warum über Anekdoten streiten? Musik wird von Menschen komponiert, Menschen interessieren sich für Menschen, Kinder für Kinder. Auch ein persönlicher Bezug des Moderators zum Stück, zum Komponisten kann Interesse wecken. Dann bringt er sich persönlich ins Spiel. Vielleicht stellt er nicht nur sachlich das Instrument XY vor, sondern macht eine echte Liebeserklärung an „sein“ Instrument? Kinder suchen berührende Vorbilder.
Der Moderator könnte auch ein Kind aus­suchen (Geburtstagskind?) und auf einem Stuhl auf der Bühne Platz nehmen lassen: „Wir spielen es heute für dich!“ Auch das ist nicht musiknah, aber wirksam. Denn die anderen Kinder werden dieses Kind, weil es ein Kind ist, interessiert beobachten und dabei zumindest „hören“.
Der Musik ganz nah sind wir, wenn etwa ein Rhythmus des kommenden Stücks vorbereitend geklatscht, gestampft, in Bewegung umgesetzt oder gesprochen wird, als Pattern oder Kanon; wenn ein Motiv, eine Melodie textiert und von allen gesungen, wenn ein Ins­trument vorgeführt, Klangmöglichkeiten erlebt werden. „Liebe Trompeterin, kannst du etwas Lustiges spielen? Etwas Trauriges? Was ist das Schnellste, das du spielen kannst? Das Langsamste? Wie laut kannst du spielen? Wie leise? Kannst du auch im Liegen spielen?“ Wenn es Spaß macht, passen Kinder besser auf. Sie versuchen auch, Spielbewegungen mitzumachen. Wenn dann die Musik erklingt, haben sie etwas, das sie ent­decken können, haben Anknüpfungspunkte: „Man sieht nur, was man weiß.“ (Johann Wolfgang von Goethe)1
Kinder können mitmachen, den Rhythmus mitspielen, die textierte Melodie mitsingen, den Arm heben, wenn ein bestimmtes Instrument erklingt, oder eine Spielbewegung imitieren. Kinder wollen aktiv sein. Nah an der Musik sind wir auch, wenn der Moderator wie ein Pantomime zur Musik passende, mitvollziehende Bewegungen macht. Sind das Bewegungen, die den Kindern Spaß machen, imitieren sie sie ganz von allein. Später können die Kinder angeregt werden, selbst passende Bewegungen auszuprobieren.

Edvard Grieg: Morgenstimmung
Die Kinder sitzen auf dem Boden, der Moderator auch. Alle sollten ein Chiffon-Tuch haben. Die Musik erklingt, der Moderator stellt mit dem Tuch und seinem Körper den Musikverlauf dar. Die Kinder werden animiert, es ihm gleich zu tun. Zu Beginn ist das Tuch in den Händen versteckt. Im Anschwellen der Musik öffnen sich langsam die Hände, das Tuch quillt hervor, ein Zipfel wird in die Hand genommen, das Tuch wird bewegt, die Bewegungen werden größer und größer. Alle gehen langsam auf die Knie, wachsen und wachsen. Auf dem Höhepunkt der Musik stehen alle und schwenken die Tücher weiträumig mit den Armen. Der Musik folgend leitet der Moderator den Rückweg ein, alle sinken langsam zu Boden, bis die Tücher wieder in den geschlossenen Händen verschwunden sind. Im Falle einer Wiederholung kann ein Kind die Führung übernehmen.

Die Kinder können sich körperlich einbringen, erfahren die „Erzählung“ der Musik körperlich, erweitern zusätzlich ihr Bewegungsrepertoire. All das macht Spaß, weckt und richtet die Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit bringt Kinder und Musik zusammen.2

Zeitgenössische Klänge

Immer sollten wir auch die Tür zur Musik der Gegenwart öffnen. Kinder interessieren sich sehr für das Unbekannte, Überraschende, Fremde. Mit Geräuschen, Klängen, Tönen, mit Stimme, Körper und Instrumenten machen wir Klangspiele in der Gruppe. Auch die Grenzen zu anderen Künsten sollten wir öffnen, Übergänge schaffen: Körper- und Raumbewegungen dazunehmen, Kostüme, Alltagsgegenstände, bildnerische Mittel einbeziehen, Grenzübertritte zulassen; als Erwachsener erstaunt sein, was Kindern einfällt.

1 Brief an Friedrich von Müller, 24. April 1819; vgl. auch: „Wir hören nie nur das, was gerade erklingt, sondern auch das, was wir schon vorher gehört haben“, Beatrix Borchard, in: Martin Tröndle (Hg.): Das Konzert. Neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form, Bielefeld 2009, S. 219.
2 „Den ‚Kit‘, der das Konzertereignis und das Publikum zusammenhält, nenne ich […] ‚Aufmerksamkeit‘“, Martin Tröndle: „Von der Ausführungs- zur Aufführungskultur“, in: Tröndle, ebd., S. 2

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