Kühn, Clemens

Modulation kompakt

Erkunden – Erleben – Erproben – Erfinden

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: üben & musizieren 6/2013 , Seite 52

Modulation lehren: Geht das über­haupt? Generationen von Komponisten und Theoretikern haben sich mit diesem Problem beschäftigt, sie haben mit Kategorien gerungen, Richtungen systematisiert, Regeln aufgestellt – und sind verzweifelt. Vielfach wurden dabei auch musikferne Befehle erteilt wie: Gehe von a-Moll nach Es-Dur, und zwar so schnell wie möglich. Bei Max Reger führte dieser Ansatz immerhin dazu, dass er eine einmalig-skurrile Modulationslehre verfasste, innerhalb derer beispielsweise der Weg von des-Moll nach Dis-Dur in fünf Stationen vollzogen wird.
Clemens Kühn geht mit Modulation kompakt einen ganz anderen Weg: Er systematisiert nicht und macht keine Vorschriften. Vielmehr beschreibt er die formale und dramaturgische Bedeutung des tonikalen Wechsels und führt damit ins Zentrum rhetorischer und formaler Dimensionen von Musik. Wie in vielen anderen seiner Bücher wendet er sich damit gegen herkömm­liche Lehrmethoden, richtet den Fokus vielmehr auf historische Entwicklungen und leitet seine Erläuterungen beharrlich vom Kunstwerk ab. Sympathischerweise unterbricht er dabei seine Exkurse immer wieder für Aufgaben für die LeserInnen: Arbeitsschritte wie Spielen, Lesen, Hören, Erkunden, Nachdenken und Ausprobieren machen das Buch nämlich genau dann zum Gewinn, wenn man den Vorschlägen des Autors folgt und sich auf das Risiko einlässt zu erkennen, dass jede Modulation letztlich ein Individuum ist.
Das Betörende an Kühns Büchlein liegt in der Un-Systematik der Stoffbehandlung, zwingt eine solche Vorgehensweise doch zum Weiterarbeiten, zum Blättern und zum Erkunden eigener Werkausschnitte. Kühns Beispiele im Buch erscheinen durchweg angemessen und treffen den Behandlungsgegenstand auf den Punkt; sie sind meist in Klavierfassung gedruckt (Spielbarkeit!) und werden sprachlich immer verständlich, vielfach auch spannend erläutert.
Gelegentlich fehlen Belege für Kühns Vermutungen (so hätte man gerne gewusst, worin die rhetorische Bedeutung der Endtakte des Crucifixus aus Bachs h-Moll-Messe liegt, S. 52), und manches Mal gibt der Autor dann dankenswerterweise doch „Modulationstricks“ preis, etwa den, die Tonika durch Beifügung der Sexte zur Subdominante der neuen Tonart zu erheben (S. 15). Die Zugabe des Buchs besteht aus einem „handschriftlichen Gruß aus Wien“, nämlich zwölf Kurzmodulationen Diether de la Mottes. Leider erinnern diese doch sehr an Max Regers Modulationseskapaden und drohen ein bisschen, das Gesamtkonzept des Autors am Schluss wieder in Frage zu stellen.
In summa gelingt Kühn jedoch eine durchdachte, methodisch erfrischende, von der Musik und nicht von der Regel ausgehende al-fresco-Wanderung durch die nebulöse Welt der Modulation. Und deshalb wird das Buch wohl sehr bald unverzichtbar werden.
Thomas Krämer