Kirschning, Antje

München macht es vor

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 4/2024 , Seite 41

Die Hochschule für Musik und Theater München hat im April 2024 eine Studie mit repräsentativem Anspruch zu Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierter Gewalt vorgestellt.1 Die Diagnose der WissenschaftlerInnen, die diese Erhebung und qualitative Interviews durchgeführt haben, lautet: Die Hochschule für Musik und Theater München ist eine „traumatisierte Institution“.
Die Daten bestätigen die Vermutung, dass der künstlerische Einzelunterricht ein Bereich mit erhöhtem Risiko ist. Deshalb sind hier Evaluationen, Kontrollmechanismen und Sanktionen bei Fehlverhalten besonders wichtig. Die gewaltausübenden Personen sind überwiegend männlich, meist über 40 Jahre alt und mehrheitlich auf Lehr- oder Leitungspositionen. Manche dieser Männer scheinen den gesellschaftlichen Wandel noch immer ignorieren zu können – insbesondere im öffentlichen Dienst auf verbeamteten Positionen. Sie müssen ihr Verhalten durch Fortbildungen endlich selbstkritisch reflektieren lernen und Grenzüberschreitungen als strukturelles Problem erkennen.
Von Machtmissbrauch betroffen sind über­wiegend Studierende, überwiegend weiblich gelesene Personen, mehrheitlich sind sie zwischen 18 und 29 Jahren. Leider hat nur jede vierte studierende Person an der Erhebung teilgenommen und sogar nur 11% der Jungstudierenden. Diese geringe Beteiligung ist alarmierend. Pointiert formuliert ist der Rücklauf umgekehrt proportional zu der anzunehmenden Betroffenheit: Je abhängiger, jünger und unerfahrener, desto größer ist die Unwissenheit, Scham, Angst vor nicht gewährleisteter Anonymität.
Die Ergebnisse an der Hochschule für Musik und Theater München untermauern empirisch die „Forderungen zur Prävention und Intervention von übergriffigem, unangemessenem und missbräuchlichem Verhalten an Musikhochschulen“. 30 Studierendenvertretungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben diese Ende 2023 unterzeichnet und mit dokumentierten Vorfällen veranschaulicht.
Welche Therapie ist nun erforderlich? Die Hochschule für Musik und Theater München hat aus den Ergebnissen systematisch Maßnahmen abgeleitet. Ein 7-Punkte-Plan beinhaltet u. a. verpflichtende Fortbildungen für alle Lehrenden und Angestellten. In Berufungs- und Besetzungsverfahren wird zukünftig geprüft, wie BewerberInnen körperliche und seelische Nähe und notwendige Distanz ausbalancieren. Solche Konsequenzen sind vorbildlich. Sie sind an allen Musikhochschulen notwendig, um das Miteinander nachhaltig zu verbessern.
Langfristig kann die Wirksamkeit von Maßnahmen am besten auf der Grundlage standardisierter und vergleichbarer Daten beobachtet und verglichen werden. Deshalb muss die vage Ankündigung der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen (RKM), eine wissenschaftlich fundierte Erhebung für alle Mitgliedshochschulen zu konzipieren, umgesetzt werden.
Der Geschäftsführer von unisono Deutsche Musik- und Orchestervereinigung, Gerald Mertens, bringt es auf den Punkt: „Hier sind die Hochschulleitungen gefordert, ebenso wie die zuständigen Ministerien der Bundesländer, um erforderliche Maßnahmen einzuleiten, umzusetzen und zu finanzieren.“2 Das Bayerische Staats­ministerium für Wissenschaft und Kunst zumindest ist offenbar zu weiteren Finanzhilfen bereit.
Jetzt müssen die anderen Musikhochschulen der Hochschule für Musik und Theater München folgen und die Forderungen der Studierendenvertretungen umsetzen. Dann könnten sie glaubhaft vertreten, dass jeder Fall einer zu viel ist. Alle vereint das Ziel, inspirierende und angstfreie Lern-, Lehr- und Arbeitsorte zu sein. Sie können Synergien nutzen. Therapie wie an der Münchner Musikhochschule ist gut. Gemeinsame Vorsorge ist besser.

1 Dill, Helga/Schubert, Tinka/Behringer, Franziska/ Meyer, Sebastian/Müller, Charlotte/Dal, Melike Pusti: Vollerhebung zu Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierter Gewalt bei den Mit­gliedern der Hochschule für Musik und Theater München, https://hmtm.de/wp-content/uploads/ PDF/Abschlussbericht-IPP-HMTM_2024-04-18.pdf (Stand: 4.7.2024).
2 https://uni-sono.org/presse_meldungen/gegen-machtmissbrauch-an-musikhochschulen (Stand: 4.7.2024).

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