Enser, Gabriele / Bernhard Gritsch / Fritz Höfer (Hg.)

Musikalische Sozialisation und Lernwelten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2019
erschienen in: üben & musizieren 6/2020 , Seite 58

Dieser Sammelband ist der Ertrag einer Tagung der Vereinigung MFÖ (Musikpädagogische Forschung Österreich), die Anfang 2018 an der Musikuniversität Wien stattgefunden hat. Es gibt darin sieben höchst unterschiedliche Beiträge, in der Mehrzahl von Kolleginnen bzw. Kollegen aus Deutschland. Die (österreichischen) HerausgeberInnen haben keinen eigenen Artikel beigetragen, jedoch ein ausführliches Vorwort verfasst, das ausgezeichnete kurze Einführungen in alle sieben Beiträge enthält.
Den ersten Teil des Buchs bilden zwei primär theoretisch angelegte Artikel. Peter W. Schatt erörtert anhand des Spannungsfelds von „Exklusivität und Durchlässigkeit“, wie man (auch musikpädagogisch) der Vielfalt der modernen Welt sinnvoll und sinngebend begegnen kann. In einer Tiefenschicht seien die Phänomene der Welt in einem komplexen Netz wie durch ein Wurzelgeflecht („rhizomatisch“) miteinander verbunden. Zugang dazu fände man aber nur in verdichteten Inhaltsbereichen, in „Intensitätszonen“, die man wie Plateaus begreifen kann, auf denen man sich trifft – emphatisch formuliert im Titel des Beitrags: „Willkommen auf dem Plateau!“
Stefan Orgass verfolgt die Spur des Rekonstruierens von Aspekten und Elementen des informellen Lernens und der relevanten lebensgeschichtlichen Hintergründen. Angesichts des im Vorwort formulierten Postulats, die Triade „formal“, „non-formal“, „informell“ kritisch in Frage zu stellen, ist es erfreulich, dass Orgass es als höchst fragwürdig bezeichnet, informelles Lernen in formelle, normativ bestimmte Kontexte des Lernens zu integrieren, informelles Lernen also zu „formalisieren“. Denn die Notwendigkeit dieser Auseinandersetzung liegt tatsächlich auf der Hand, wenn man „Musikalische Sozialisation und Lernwelten“ thematisiert; sie findet im Buch ansonsten aber kaum oder nur kursorisch statt.
Fünf Beiträge dieses Sammelbands beleuchten und reflektieren Praxisbereiche, die als musikalische Lernwelten gefasst sind: das Wirken der Zithervereine im 19. Jahrhundert vor allem in Wien (Katharina Pecher-Havers); ein Projekt aus der „Flensburger Singezeit“ mit Grundschulkindern (Susanne Dreßler und Timo Dauth); eine Untersuchung zum Lehramtsstudium im Fach Musik, nach der der Musikunterricht wohl als eine „Frauendomäne“ angesehen werden kann (Christine Peham); und schließlich zwei Artikel zur Bedeutung digitaler Technologie im musikpädagogischen Kontext (Malte Sachsse, Fritz Höfer).
Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle zum einen die Nutzung des Begriffs „Partizipation“ im Kontext einer Didaktik der Popmusik (Sachsse) und zum anderen das konzeptionelle Arbeiten mit den theoretischen Perspektiven Spiel – Raum – Aneignung (Dreßler, Dauth), denen vermutlich in der weiteren musikpädagogischen Diskussion große Bedeutung zukommen wird.
Franz Niermann