Ardila-Mantilla, Natalia

Musiklernwelten ­erkennen und gestalten

Eine qualitative Studie über Musikschularbeit in Österreich

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lit, Münster 2016
erschienen in: üben & musizieren 1/2018 , Seite 51

Sind Auftrag und Arbeitsweise der Musikschulen so selbstverständlich geworden, wie es auf den ersten Blick scheinen mag? Wie stellt sich Musikschularbeit aus der Innensicht der dort Lehrenden dar? Eine kritische Stand­ortbestimmung und Situationsanalyse nimmt diese Studie vor. Musikschul­arbeit vollzieht sich danach in verschiedenen „Musik­lernwelten“, in denen nicht nur einfach Inst­rumental- und Gesangunterricht organisiert wird, sondern Lernende mit verschiedenen musikalischen Praktiken in Berührung kommen, die von den Lehrenden in unterschied­licher Weise gestaltet werden.
Mithilfe des Methodeninventars der Grounded Theory wird die intensive Befragung von zwölf MusikschullehrerInnen nach den Kategorien des formalen und informellen Lernens analysiert, die als Kriterium zur Fokussierung der Aufmerksamkeit dienen, um dann mit dem Konzept situierten Lernens in sozialen Musikpraxen (z. B. Musikvereinen, Communities of Practice) in Beziehung gesetzt zu werden.
Die vier zentralen Lernwelten betreffen den eigentlichen Instrumental- und Gesangunterricht, die Teilhabe an Ensembles, die Vorbereitung der Auftritte (Konzerte, Prüfungen, Wettbewerbe) und das Üben und Musikhören im privaten Umfeld. Die Grounded Theory dient hierbei als heuristisches Modell, mit dem Kategorien der Argumentationsmuster bei den Interviewpartnern aufgefunden und codiert werden. Als Ziele der Musikschul­arbeit erscheinen dabei die Ermöglichung musikalischer Wissensaneignung, musikalisches Erleben und vor allem musika­lische Partizipation.
Der erste Teil erörtert nach einem historischen Überblick die bildungspolitischen, wissenschafts­theoretischen und methodischen Grundlagen des Forschungsprojekts. Im zweiten und dritten Teil folgt die Beschreibung der lernweltgebundenen Praktiken und der Zielvorstellungen, die in ein theoretisches Modell der Musikschularbeit münden.
Dabei entfaltet Ardila-Mantilla ein ungemein facettenreiches Bild der unterschiedlichen Aktivitäten und handlungsleitenden Einstellungen von Musikschullehrern. Die dichte Materialfülle betrifft alle Aspekte der Musikschularbeit vom Üben, der Motivation, dem Gruppenunterricht oder der Ensemblearbeit bis zu den divergierenden Funktionsbestimmungen des Unterrichts und zum Selbstkonzept der Lehrenden. Überblickartige Tabellen und Grafiken veranschaulichen den komplexen Sachverhalt.
Die Vielfalt musikpädagogisch relevanter Aspekte regt dabei zu kritischer Reflexion an. Wenn die Grounded Theory es auch nicht leisten kann, Aussagen darüber zu machen, welche Faktoren die beschriebenen Merkmale beeinflussen und welch Allgemeingültigkeit die Ergebnisse dieser qualitativen Studie beanspruchen können, stellt der Entwurf eines umfassenden theoretischen Modells der Musikschularbeit auf der Grundlage der empirischen Erkundung dennoch einen Meilenstein dar.
Wilfried Gruhn