Cameron, Moira / Diana Schott

Musikpädagogik für MusikerInnen verschiedener Kulturen

Ein Zertifikatslehrgang der Landesmusikakademie NRW bereitet MigrantInnen auf eine Unterrichtstätigkeit in Deutschland vor

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 52

Eine Praxiseinheit in der Lehrgangsgruppe: Ein Teilnehmer beginnt, eine Bodypercussion­einheit anzuleiten. Die anderen folgen seinen Anweisungen. Ein Groove bildet sich und findet zu einem gemeinsamen stabilen Klang zusammen. Plötzlich beginnen einzelne selbst­ständig Melodien mitzusingen. Andere geben spontan improvisierte Rhythmuspatterns in den Raum. Doch der gemeinsame Klang wankt nicht, im Gegenteil: Der Groove beginnt zu pulsieren und der Spaß an der Sache steht allen ins Gesicht geschrieben.
Diese Situation, in der gemeinsam improvisierte, freie und originelle Musik den Raum füllt, ist beim Zertifikatslehrgang „Musikpädagogik für MusikerInnen verschiedener Kulturen“ noch viele Male zu beobachten. Man merkt: Diese Menschen atmen, ja leben Musik. Genau dieses Gefühl und die Freude daran wollen sie etwa durch Instrumentalunterricht weitergeben und mit ihrer Musik die deutsche Musiklandschaft bereichern. Doch gestaltet sich dieses Vorhaben mitunter schwieriger als erwartet. Die Gründe sind vielfältig: fehlende Möglichkeiten, das eigene Instrument in Deutschland zu studieren, fehlende musikpädagogische Breitenkenntnisse, fehlendes Wissen über entsprechende Institutionen und Kontakte, kein (anerkannter) musikpädagogischer Abschluss und viele unbeantwortete Fragen. Wie steige ich in Deutschland (wieder) in die Arbeit ein? Was ist hier anders bezüglich Recht und Versicherungen? Wie überwinde ich sprachliche Barrieren? Welche ungeschriebenen Regeln gibt es? Welche Netzwerke gibt es und wie komme ich dort hinein? Was kann ich tun, damit ich auch hier eine gültige Anerkennung meiner Qualifikation und Ausbildung vorweisen kann? Gibt es hier überhaupt Institutionen, die mir diese Anerkennung beglaubigen?
Der bislang einzigartige, einjährige Zertifikatslehrgang setzt genau an diesem Punkt an. Initiiert wurde er durch die Landesmusikakademie NRW in Kooperation mit dem Landesmusikrat NRW, dem Landesverband der Musikschulen NRW und der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Als Lehrpersonen konnten Lehrende aus Musikschulen und Musikhochschulen gewonnen werden. Von ursprünglich ca. 40 BewerberInnen wurden 20 Personen aufgenommen, die zum Abschluss im Juli 2019 allesamt ihr Zertifikat in Händen hielten.
Die Gruppe stellte einen bunten Querschnitt von in Deutschland lebenden fortgeschrittenen InstrumentalistInnen dar, die insbesondere aus dem afrikanisch-subsaharischen, asiatischen, lateinamerikanischen und vorderorientalischen Kulturraum kamen. Unter ihnen befanden sich sowohl Menschen, die schon seit vielen Jahren in Deutschland leben, als auch solche, die erst seit kurzer Zeit Deutschland ihr Zuhause nennen. Die Lebenssituationen, Geschichten und persönlichen Ziele der Teilnehmenden sind so vielfältig wie die Musiken, die sie mitbringen. So sind die möglichen Forschungsthemen und -fragen breit gefächert und umfassen Bereiche wie Sprache, Erwachsenenbildung, ausgewählte Unterrichtsinhalte des Kurses, persönliche Erfahrungen der Teilnehmenden mit Musikpädagogik oder ihre Beziehung zu ihrem Instrument, verschiedene Barrieren oder Migration.
Ein Höhepunkt des Kurses war das Thema Live-Arrangement – unter anderem aufgrund der Möglichkeit, gemeinsam als Gruppe zu musizieren. Aber auch die Perspektive, mit diesem pädagogischen Handwerkszeug selbst Gruppen anzuleiten und sie schrittweise an bestimmte Musikstücke heranzuführen, war eine große Motivation. Präsent waren die eigenen Instrumente und das Musizieren aber auch in anderen Unterrichtsfächern. Sie halfen beispielsweise im Fach Musiktheorie dabei, die Theorie demonstrierend und überprüfend in die Praxis umzusetzen und Unterschiede, aber auch Schnittmengen zwischen westlich-europäischer und beispielsweise mittelöstlich-orientalischer Musiktheorie hör­bar zu machen. Zudem wurden die Teilnehmenden durch Praktika, Hospitationen, Lehrproben und durch die Organisation eines eigenen Workshop-Nachmittags mit verschiedenen Unterrichtssituationen und der dazugehörigen Hintergrundorganisation konfrontiert.
Eine erste Sichtung der Daten lässt die Vermutung zu, dass der Zertifikatslehrgang und die Anerkennung, die für die Musik der Teilnehmenden gezeigt wurde, positiven Einfluss auf die Selbstwirksamkeitserwartung der Teilnehmenden ausübte. Daran wird die Bedeutsamkeit solcher Fortbildungsangebote deutlich. Ein Hinweis auf diese Bedeutung könnte auch sein, dass der zweite Zertifikatslehrgang dieser Art, der im Juli 2019 begonnen hat, mit ebenso großem Andrang konfrontiert war. Dies zeigt, dass der Zertifikatslehrgang als wichtige musikpädagogische Maßnahme gebraucht und geschätzt wird.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2020.