Schatt, Peter W.

Musikpädagogik und Mythos

Zwischen mythischer Erklärung der musikalischen Welt und pädagogisch geleiteter Arbeit am Mythos

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: üben & musizieren 2/2010 , Seite 54

„Der Mythos beginnt, wenn das Fragen aufhört“ – diese Peter W. Schatts neues Buch Musikpädagogik und Mythos beschließenden Worte scheinen rückblickend treffend die Motivation seiner Ausführungen zu beschreiben. So geht Schatt von der Grundannahme aus, „dass die Bindung der Wahrnehmung musikalischen Ausdrucks an sprachliche Kommunikation, wie sie nicht nur, aber insbesondere in musikpädagogischen Zusammenhängen notwendig ist, bei gleichzeitiger wissenschaftlicher oder zumindest vorwissenschaftlicher Systematisierung dem Nachdenken über musikpädagogische Fragen mythische Züge verlieh“. Im Mythos nehme „eine bestimmte Bemühung des Menschen Form an, die Erscheinungen der Wirklichkeit so zu bewältigen, dass er unbehelligt von jenem Schrecken leben kann, den eine ungeordnet ausgebreitete, gleichwohl in der Einheit des Erlebens wahrgenommene Welt ihm bereiten würde“; der Mythos „analysiert die Dinge und Zusammenhänge nicht […], sondern [..] zeigt sie vor, transferiert auf einen anderen, aber analogen Lebensbereich“.
Mythisches Denken manifestiere sich beispielsweise, wenn „in einem Ganzen erscheint, was im Alltag als Separates wahrzunehmen wir gewohnt sind und was unserer Sprache und unserem Denken nur als Summe von Einzelheiten zugänglich ist“, es „stiftet Kategorien der Ordnung […] nicht durch Analogien […], sondern durch Setzung von Identitäten“.
Dieses Verständnis erläutert Schatt zunächst an „aktuellen Mythen“ wie beispielsweise „Schicksal“, „Kultur“, „Bildung“ oder „Aufklärung“, bevor er sich den wesentlichen Kategorien, an denen sich musikpädagogisches Denken seit dem Zweiten Weltkrieg orientierte, zuwendet (und damit auch alle prägenden Konzeptionen von Musikunterricht der vergangenen Jahrzehnte in den Blick nimmt). So hinterfragt Schatt kritisch die Verwendung von Begriffen wie „Ganzheit“, „das Schöpferische“, „Lebenswelt“, „Erfahrung“ oder „Transfer“ im musikpädagogischen Schrifttum auf (zumeist unreflektierte) Grundannahmen, Wertvorstellungen und Implikationen und weist so verbreitet mythisches Denken in der Musikpädagogik nach.
Vor dem Hintergrund seiner Ergebnisse und aus konstruktivistischer Perspektive plädiert Schatt – nicht ohne auf die Gefahr hinzuweisen, selbst mythischem Denken zu verfallen – abschließend dafür, in der Fachdiskussion nicht weiter verschiedene Orientierungen gegeneinander auszuspielen und auf jegliche Dogmatik zu verzichten. Er spricht sich aus für einen Musikunterricht, der den Prämissen praktischer wie ästhetischer Vernunft gleichermaßen folgt und „der Modalität von ,Musik-Verstehen‘ als wechselseitigem bzw. gegenseitigem Spiel mit Orientierungen verpflichtet bleibt, der ferner dabei problemlösendes Denken ebenso wie die Vielfalt ästhetischer Einstellungen aufgreift und in einen dynamischen Prozess der Auseinandersetzung und Ineinssetzung integriert“.
Instrumentalpädagogische Relevanz haben Schatts nicht immer leicht zu lesenden, stets profunden und sich vornehmlich auf schulmusikpädagogische Überlegungen beziehenden Ausführungen in zweierlei Hinsicht: Zum einen stellt er eine Fülle grundsätzlicher Überlegungen zum Wesen und Vollzug musikalischer Bildung an, die auch für einen Instrumentalunterricht, der über die reine Vermittlung spieltechnischer Fähigkeiten hinausreichen will, Relevanz besitzen, zum anderen untersucht der Autor Mythenbildung auch im Zusammenhang mit Begriffen wie beispielsweise „Erfahrung“ oder „Ganzheit“, die im instrumentalpädagogischen Diskurs ebenfalls rezipiert worden sind.
Das Buch ist daher ausgesprochen gewinnbringend für Instrumentalpädagogen zu lesen, die an der Klärung der Grundlagen ihres musikpädagogischen Handelns und Nachdenkens sowie am musikpädagogischen Diskurs allgemein interessiert sind. Jenen nachhaltig zu befruchten gehört zu den genuinen Anliegen von Schatts Ausführungen, was neben dem letzten, bereits zitierten Satz des Buchs nicht zuletzt auch der Hinweis verdeutlicht, dass gerade in der Mythenbildung im musikpädagogischen Nachdenken ein entscheidender Grund dafür zu sehen sei, „dass der Diskurs unserer Disziplin nicht recht gelingt oder gar stagniert“. Insofern erfordert Schatts Buch geradezu eine entsprechende Rezeption und Diskussion im Rahmen der schulmusik- wie instrumentalpädagogischen Auseinandersetzung, die um die Klärung ihrer Grundlagen und Schaffung einer konsensfähigen Diskussionsgrundlage bemüht ist.
Marc Mönig