Bartels, Daniela

Musikpraxis und ein gutes Leben

Welchen Wert haben ethische Konzeptionen eines guten Lebens für die Musikpraxis?

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2018
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , Seite 54

Daniela Bartels begibt sich in ihrer Publikation auf eine interessante Spurensuche von Schriften der Antike bis zu ethischen Konzepten des 20. Jahrhunderts. Ihr Forschungsansatz ist zugleich ein Statement: Musikpraxis ermöglicht es, unter gewissen Voraussetzungen ein „gutes Leben“ zu führen.
Die Autorin beginnt ihre Recherche bei Aristoteles’ „Handlungsbegriff“, um zunächst nach möglichen praktischen Handlungsweisen in der Musikpädagogik zu suchen, welche Lehrende als „gut“ erachten und somit als Ziele des Musikunterrichts anstreben können. Bartels widmet sich auch dem Gedanken des „Handelns in einer pluralen Welt“, wie ihn die Philosophin Hannah Arendt beschrieben hat, und betrachtet diesen als zent­ralen Aspekt der musikalischen Gruppenarbeit.
Zu den Grundfähigkeiten des Menschen, welche ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, zählt die US-amerikanische Philosophin Martha Nussbaum insbesondere „die Fähigkeit, im Zusammenhang mit dem Erleben und Herstellen von […] religiösen, literarischen, musikalischen Werken und Ereignissen die Vorstellungskraft und das Denkvermögen zu erproben“. Bartels sieht diese menschliche Begabung als Möglichkeit, in der Musikpädagogik die Entwicklung der inneren Vorstellungskraft, den Umgang mit Gefühlen und reflektiertes Handeln für junge Menschen erfahrbar zu machen.
Die Autorin bezeichnet schließlich die „Gestaltung von Beziehungen“ als ein wesentliches Ziel der Musikpraxis. Musik ermöglicht nicht nur die Rezep­tion, sondern die stets neue Gestaltung von künstlerischem Material. In diesem Zusammenhang verweist Bartels auf die Überlegung in Wilhelm Schmids „Philosophie der Lebenskunst“, welche die Ausübung von Musik als Technik bezeichnet, mit der ein Mensch an sich selbst arbeitet, während er zugleich seine äußere Erscheinung formt.
Bartels erkennt in diesen philosophischen Ansätzen Konzepte eines „guten Lebens“ in Form von „Wahlfreiheit“, „Selbstgestaltung“ und „Gestaltung von Beziehungen“. Nach ihrer Einschätzung sind dies auch Kennzeichen einer guten Musikpraxis, welche bewusst pädagogisch genutzt werden können, um jungen Menschen wohlüberlegtes Handeln im sozialen Kontext zu ermöglichen.
Die Autorin vermeidet allerdings weitgehend kritische Betrachtun­gen ihrer Fragestellung: „Welchen Wert kann eine bestimmte Art und Weise gemeinsam Musik zu machen und zu hören eigentliche für junge Menschen haben?“ Wünschenswert wäre die intensivere Auseinandersetzung mit aus ihrer Sicht problematischen Erscheinungen von Musikpraxis, um ihre musikpädagogischen Überlegungen zu untermauern. In jedem Fall stellt das Buch eine vielseitige Recherche zu ethischen Grundfragen dar und ist ein Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verantwortung der Musikpädagogik.
Markus Göller