Wolfart, Philipp

Musikschule als Mehrwert

Gedanken zu Andreas Doernes Musizierlernhaus

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 13

Die Förderung musikalischer Bildung ist ein gesellschaftlicher Auftrag. Doch in den vergangenen dreißig Jahren haben sich die Anforderungen an öffentliche Bildungseinrichtungen und das Verständnis musikalischer Bildung stark geändert. Dies spiegelt sich auch in Andreas Doernes Buch „Musikschule neu erfinden“ wider. Im Folgenden dazu einige Gedanken, die die Lektüre in mir ausgelöst hat.

Was mich nachhaltig beschäftigt, ist die Frage, wie wir es schaffen, dass die Idee der öffentlichen Musikschulen nicht darin endet, als „instrumentalpädagogische Dienstleistungsagenturen“1 gesehen zu werden, sondern wie es gelingen kann, ihre Identität als öffentliche Bildungsinstitutionen stärker in den Fokus ihrer eigenen Entwicklung zu stellen. Im Folgenden gehe ich auf vier Punkte ein, welche sich für mich im Hinblick auf die Musikschule, an der ich arbeite, aus der Lektüre als Schwerpunkte ergeben haben.

Architektur und materielle Gegebenheiten

Das Hauptgebäude unserer Musikschule wurde erst vor einigen Jahren neu erbaut. Sicherlich wäre damals Andreas Doernes Buch als Inspirationsquelle hilfreich gewesen, denn sein architektonischer Entwurf eines Musizierlernhauses beinhaltet viele genau durchdachte Details, die für öffentliche Musikschulen sehr nützlich sein können. Die Forderungen nach geeigneten Baukonzepten für Musizierlernhäuser sowie nach erstklassigem Material sind zwar berechtigt, doch sollte meiner Meinung nach das Hauptaugenmerk auf die Art der pädagogischen Vermittlung gelenkt werden. Auch aufsehenerregende Projekte wie „El Sistema“ in Venezuela oder Ähnliches leben vor allem von der Mitmenschlichkeit und dem Engagement der Musikpädagoginnen und -pädagogen, weniger – oder gar nicht – von einer idealen materiellen Ausstattung.
Dennoch: Silent Areas außerhalb der Unterrichtszimmer einzurichten und damit den Ort Musikschule zu erweitern, halte ich für eine gute Idee. Auch die Eindrücke, die die Musikschulen Waldkirch und Lahr gewähren,2 sind inspirierend. Lernräume nach dem Vorbild von Gemeinschaftsateliers einzurichten, wäre auch mein Wunsch für das Hauptgebäude unserer Musikschule; mit Hilfe von Silent-­Instrumenten im öffentlichen Raum der Musikschule lässt sich das schon relativ einfach erreichen. Die Verfügbarkeit der Räumlichkeiten ist ein weiterer Punkt, der die Attrak­tivität einer Musikschule steigern kann: Mit Hilfe eines elektronischen Türöffnungssystems und entsprechendem Gebührensystem (wie an der Musikschule Waldkirch) kann man dem Ideal eines zeitlich flexibel zugäng­lichen öffentlichen Orts zum Musizieren entgegenkommen. Für die Wahrnehmung der Musikschule als ein Zentrum zum Musizieren und für die musikalische Bildung der Kommune kann das ein wichtiger Schritt sein. Doch ist zu bedenken, dass nur jener Teil der Bevölkerung Zugang zu den Räumlichkeiten hat, der sich eine Form der Mitgliedschaft leisten möchte bzw. kann.

Entwicklung und Vertie­fung von Kooperationen

An unserer Musikschule findet ein wesent­licher Teil des Unterrichts außerhalb des Hauptgebäudes in verschiedenen Gebäuden unserer Kooperationspartner statt. Mit den unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten der kooperierenden Schulen und Kindertagesstätten zurecht zu kommen, gehört für mich zum Alltag. Kooperation bedeutet aber nicht nur das Austauschen verschiedener Räumlichkeiten. Hier bekommt allerdings wieder jene oben schon erwähnte Mahnung Bedeutung, nach welcher Musikschulen von außen oft als „instrumentalpädagogische Dienstleistungsagenturen mit qualifizierten Angestellten und eigenen Räumen“3 wahrgenommen werden. Diese Beobachtung kann ich bestätigen und füge hinzu, dass meistens der Grund für eine Kooperation in fehlenden eigenen Räumen liegt. Es geht also um das grundsätzliche Verständnis des Begriffs der Kooperation. Dazu stellt Doerne unter anderem die für Musikschulen wichtigen Leitfragen: „Wie kann man Kooperationen als kulturprägendes Element etablieren?“ und „Wie kann man zu Kooperationen anregen?“4
Vielleicht sind Kooperationen ja schon ein kulturprägendes Element an und für sich? Ein bloßes Nebeneinander-her-Existieren ver­schiedener Institutionen ist kaum noch anzutreffen. Ob Kindertagesstätte, Schule oder Altenpflegeheim – ohne Zusammenarbeit mit externen Anbietern kommt kaum noch eine Einrichtung aus. Leider steckt viel zu häufig hinter dem Wort Kooperation tatsächlich ein Wettbewerb verschiedener Anbieter, die alle z. B. in die Ganztagesbetreuung von Kindertagesstätten und Schulen als Programmpunkt aufgenommen werden wollen. Dabei kann man in den Bereichen Musik, Kunst und Sport beobachten, dass sich öffentliche und private Anbieter sowie Vereine gegenseitig die Kundschaft streitig machen. Daher sollte zuerst geregelt werden, welcher dieser Anbieter für welche Angebote – fachlich fundiert – zuständig sein soll.
Für unbestreitbar halte ich, dass dabei eine öffentliche Musikschule erste Ansprechpartnerin für die Erweiterung bzw. Ergänzung des musikalischen Angebots an anderen öffentlichen Einrichtungen ist. Für eine Musikschule erfordert dies Kreativität und Einsatz des gesamten Kollegiums; kein Kollege darf gezwungen werden, einen Kurs außerhalb seiner Expertise geben zu müssen. Damit Kooperationen gelingen, darf man intensive Gespräche nicht scheuen und muss sich mit dem Kollegium auf die Suche nach neuen Wegen begeben. So sind Team-Teaching und Tandemarbeit gerade für Pilotprojekte hilfreiche Ansätze, auch wenn sie Personal und damit Kosten binden.5

Weiterentwicklung von Lernangeboten

Dass die Lernangebote einer Musikschule ständig überprüft und aktualisiert werden müssen, ist nichts Neues. Für eine sehr gute Anregung halte ich, schon in der Musikschule das Musizieren-Lehren als Unterrichtsinhalt aufzunehmen oder Musikproduktion als Fach anzubieten.6 Das Thema Digitalisierung wird aktuell zu häufig mit der Angst verbunden, abgehängt zu werden. Aussagen wie „innerhalb einer Generation schon könnte die Institution Musikschule zu einem altmodisch-antiquierten Auslaufmodell werden“7 schüren solche Ängste und extremen Einstellungen. Wie bei allen Modernisierungsprozessen gibt es gut funktionierende Aspekte und andere Dinge, die nicht notwendig sind.

Arbeitsverhältnisse

Warum studiert man heutzutage Musik? Und warum mit pädagogischem Schwerpunkt? Musikschulen müssen ein attraktiverer Arbeitgeber werden! Ein Kollegium, das sich als Team versteht, mit Möglichkeiten zum informellen Austausch und mit gemeinsamen künstlerischen Projekten8 sowie Fachtagungen sollte Standard an öffentlichen Musikschulen sein. Genauso sollte es jeder Träger im Hinblick auf die Qualität seiner Einrichtung ermöglichen, Musikpädagoginnen und -pädagogen an öffentlichen Musikschulen mit angemessenem Honorar zu entlohnen und fest anzustellen. Eine Mischform von nach Unterrichtsdeputat angestellten Lehrkräften und solchen mit Präsenzzeit9 kann ich mir als zukunftsweisendes Ideal vorstellen, wobei Auswirkungen auf die für die Musikschulen wichtigen Zusammenhangstätigkeiten mit­berücksichtigt werden müssen. Zum Thema Präsenzzeit geht die Musikschule Waldkirch, wie im Buch von Andreas Doerne als Best-Practice-Beispiel gezeigt, neue Wege.10

Fazit

Im Konstrukt der öffentlichen Musikschule sehe ich einen großen Mehrwehrt für unsere Gesellschaft. Als wertvoll erachte ich auch die Beständigkeit und Zuverlässigkeit der ­öffentlichen Musikschulen seit fast sieben Jahrzenten, vor allem vor dem Hintergrund unserer derzeit schnelllebigen Gesellschaft. Allein schon das Label „Musikschule“ hat für mich mehr Verbindlichkeit als das Label „Musizierlernhaus“, trotz all jener Inspirationen, die hinter der Idee der Umlabelung stehen.

1 Andreas Doerne: Musikschule neu erfinden. Ideen für ein Musizierlernhaus der Zukunft, Schott, Mainz 2019, S. 114.
2 vgl. ebd., S. 209-219.
3 vgl. ebd., S. 114.
4 ebd., S. 52.
5 vgl. ebd., S. 115-118.
6 vgl. ebd., S. 119-138.
7 ebd., S. 187.
8 vgl. ebd., S. 50.
9 vgl. ebd., S. 108-110.
10 vgl. ebd., S. 209-211.

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