© Benedikt Plößnig

Plößnig, Benedikt

Musikschule4Future!?

Wie wir die Musikschule der Zukunft gestalten können!

Rubrik: Musikschule
erschienen in: üben & musizieren 3/2022 , Seite 36

Dieser Artikel gibt Einblick in Gedankenexperimente von IGP-Studierenden an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw), die in einem Seminarprojekt unterschiedlichste ­Visionen von Musikschulen der Zukunft entwickelten und Podcasts produzierten.

Schenkt man den zahlreichen Äußerungen in Politik und Wissenschaft Glauben, neigt sich die Pandemie langsam ihrem Ende zu. Viele SchülerInnen und LehrerInnen sind mittlerweile in ihren (musik-)schulischen Alltag zurückgekehrt und genießen die wiedergewonnene Möglichkeit des Prä­senz­unterrichts und des analogen, gemeinsamen Musizierens. Sollten neben der Rückkehr zum Gewohnten aber nicht gerade jetzt Veränderungen und Anpassungen geschehen, die die Institution Musikschule einerseits resilienter gegenüber unerwarteten Ereignissen und andererseits zugleich auch attraktiver machen?
Um als Bildungsinstitution den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden, braucht es entsprechende Angebote. Viele Zukunfts- und BildungsforscherInnen1 ermutigen deshalb Aus- und Weiterbildungseinrichtungen zu einem Perspektivwechsel. Dieser sieht vor, sich weniger mit der Vergangenheit, sondern vielmehr mit fiktiven und kreativ-fantasievollen Zukunftsmodellen von Schule zu beschäftigen. Gedankenexperimente im Bildungsbereich, welche unter anderem von Science-Fiction-Denken geleitet sein sollen, fordern auch die Vereinten Nationen in ihren 17 Nachhaltigkeitszielen, besser bekannt als SDGs (Sustainable Development Goals).2 LeiterInnen und LehrerInnen im Umfeld von Musikschulen sollten sich von diesen Forderungen bzw. Vorschlägen angesprochen fühlen und ehestmöglich zukunftsfähige, im Sinne der SDGs nachhaltige Angebote schaffen. Sicher können die von Lehrkräften und Lernenden in der Corona-Pandemie gesammelten Erfahrungen zur Erstellung solcher Möglichkeitsszenarien anregen und Grundlage für die Entwicklung der Musikschule der Zukunft legen.

Podcast Musikschule 2040

Lehrende des Instituts für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren (IMP) in Wien motivierten aus diesem Grund Studierende zu Gedankenexperimenten, aus denen sie in weiterer Folge Zukunftsmodelle von Musikschulen entwickeln sollten. Am Beginn des Semesters wurden die teilweise schon selbst als Unterrichtende tätigen StudentInnen mit unterschiedlichsten Ideen von Musikschule aus der Fachliteratur und Musikschulpraxis konfrontiert.3 Des Weiteren fand eine Exkursion in die „appAcademy“ der WienXtra-Soundbase statt. Dort wurde nach der Vorstellung der Projekte zur Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung mit digitalen App-Instrumenten gemeinsam auf Tablets musiziert.4 Dies sollte den Studierenden vielfältige instrumentalpädagogische Möglichkeiten aufzeigen und sie zu neuem Denken anregen.
Eine wesentliche Rolle im Gedankenexperiment von Studierenden zur Musikschule der Zukunft spielen die individuellen Wünsche und Vorstellungen für den späteren Arbeitsplatz. Für eine Ausgewogenheit der entwickelten Ideen sollte das gemeinsame Erarbeiten in Gruppen zu je drei Personen sorgen. Die entwickelten Modelle mündeten jeweils in eine Podcast-Folge mit selbst komponierten Jingles. Die in Eigenregie aufgenommenen Podcasts geben Einblicke in eine Welt, die vielen von uns doch sehr fremd erscheint, jedoch bald zur Wirklichkeit werden könnte.

Holo-Doge vs. digitalfreie Zone

Die Gedankenexperimente der Studierenden führten zu zwei wesentlichen Forderungen: einerseits dem Wunsch, digitale Werkzeuge nachhaltig in den Unterrichtsprozess zu integrieren, andererseits soll der Präsenzunterricht weiterhin wesentlicher Bestandteil in der Instrumental- und Gesangspädagogik bleiben. Diese Forderungen wurden durch Ideen zu tiefgreifenden Veränderungen des Systems Musikschule ergänzt:
– Eine radikale Maßnahme beschreibt der Podcast Holo-Doge School. Die rein im virtuellen Raum existierende Musikschule bietet Unterricht via VirtualReality-Brillen. Diese ermöglichen nicht nur Unterricht von zu Hause aus oder die Verlagerung des Unterrichtsraums in eines der größten Konzerthäuser der Welt. Um das Unterrichtsangebot speziell an die Wünsche und Kenntnisse der SchülerInnen abzustimmen, liest die VR-Brille darüber hinaus synaptische Signale des Gehirns.
– Auch zwei weitere Podcasts sehen in der Verwendung von Hologram-Software attraktive Möglichkeiten für Musikschulen der Zukunft. Beispielsweise ermöglichen im Podcast 440 Hert(z) speziell angefertigte Holo-Handschuhe die Bedienung der mittels computergestützter Technik in den Raum projizierten Instrumente.
– Weniger Fokus auf die Digitalisierung legt der Podcast ContraPod, der eine Fusionierung der Musikschulen Wien mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) beschreibt. Die Zusammenarbeit ist maßgeblich durch einen vorzeitigen Eintritt der Studierenden in die Arbeitswelt gekennzeichnet und sollte deren Ausbildung realitätsnaher gestalten. Außerdem könnte damit das Angebot der öffentlichen Musikschulen Wien stark ausgebaut werden.
– Gänzlich verabschieden von der digitalen Welt in der Musikausbildung möchten sich die drei Gestalterinnen von ZentRaum. Dabei orientieren sie sich unter anderem an Manfred Spitzer, einem bekannten Kritiker für den Einsatz digitaler Medien in der Ausbildung von Kindern.5 Die in diesem Podcast beschriebene Musikschule bietet einen Ort, an dem Menschen einer hektischen und weitreichend digitalisierten Arbeits- und Freizeitgesellschaft zur Ruhe kommen und zu sich selbst finden sollen. Ein wesentlicher Bereich von ZentRaum ist der im Podcast ausführlich beschriebenen Ruheinsel gewidmet. Sie ist nach anthroposophischem Ansatz eingerichtet und bildet das Herzstück der Musikschule.

ThinkTank Musikschule

Die von den Studierenden entwickelten Ideen mögen vielleicht als überflüssig betrachtet oder belächelt werden. Doch wer von uns hätte vor zwei Jahren gedacht, dass digitale Unterrichtsformate und das hohe Maß an Selbstständigkeit von SchülerInnen einen Instrumental- und Gesangs­unterricht während der Lockdowns überhaupt erst ermöglichten? In der Pandemie wurden aus der Notwendigkeit heraus didaktisch-methodische Konzepte erstellt und ständig weiterentwickelt. Deren Umsetzung und Integration hätte ohne die Lockdowns wohl noch mehrere Jahre an Pionierarbeit benötigt.
Wollen Musikschulen gesellschaftlich akzeptiert bleiben und bildungspolitisch eine zentrale Rolle spielen, sind Umstrukturierungen und die Suche nach neuen Angeboten unvermeidbar. Mit dem Ende der Pandemie könnte die vielerorts spürbare Aufbruchstimmung genutzt werden, um den Standort einem Zukunftscheck zu unterziehen, statt lediglich zu alten Gewohnheiten zurückzukehren. Dieser Check kann sich z. B. an den Podcasts der Studierenden orientieren. Zielführender wäre es jedoch, wenn Lehrende und Lernende der Musikschulen gemeinsam an Modellen für die Zukunft arbeiten und sich auf visionäre Gedankenexperimente einlassen.

Lernmodell der Zukunft

Es besteht wohl kein Zweifel, dass Musikschulen als Institution in einem physischen Raum bestehen bleiben, denn das Lernen und Musizieren im analogen Raum dürfte auch weiterhin eine zentrale Rolle in inst­rumental- und gesangspädagogischen Angeboten spielen. Zugleich bieten digitale Angebote eine Vielfalt an neuen Möglichkeiten für das Lernen. Für eine intelligente Verzahnung analoger und digitaler Musizierlernwelten sprach sich Andreas Doerne bereits vor der Pandemie aus. Bei mangelndem Umsetzungswillen befürchtete er gar eine Entwicklung der Institution Musikschule hin zu einem „altmodisch-antiquierten Auslaufmodell“.6
Um dieser Befürchtung entgegenzuwirken, wird Blended Learning als Lernform, welche die Vermischung der Vorteile von digitalen Unterrichtsmöglichkeiten und Präsenzunterricht beschreibt, zukunftsweisend für die Instrumental- und Gesangspädagogik sein. Um Blended-Learning-Formate lernförderlich und motivierend gestalten zu können, bedarf es auch der Berücksichtigung dazu erforderlicher organisatorischer und struktureller Rahmenbedingungen, die mehr Flexibilität zulassen.

1 z. B. Gondlach, Kai: Zukunftsfähige Bildungssys­teme. 3 Megatrends & 11 Handlungsableitungen, 2021, www.kaigondlach.de/portfolio/whitepaper-zukunftsfaehige-bildungssysteme (Stand: 24.3.22); Ulf-Daniel Ehlers: Future Skills: Lernen der Zu­kunft – Hochschule der Zukunft, Wiesbaden 2020.
2 Riekmann, Marco: „Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ziele, didaktische Prinzipien und Methoden“, in: merz – Medienbildung für nach­haltige Entwicklung, 65 (4), 2021, S.10 ff.
3 vgl. u. a. Doerne, Andreas: Musikschule neu er­finden. Ideen für ein Musizierlernhaus der Zukunft, Mainz 2019; Ardila-Mantilla, Natalia/Röbke, Peter/ Stekel, Hanns: Musikschule gibt es nur im Plural. Drei Zugänge, Innsbruck 2015; Wolters, Gerhard: Wege aus der Eintönigkeit. MultiDimensionaler InstrumentalUnterricht oder: die Wiederentde­ckung und Weiterentwicklung (fast) vergessener Unterrichtsformen, Frankfurt 32004.
4 weitere Informationen zur „appAcademy“: www.wienxtra.at/soundbase/infos-von-a-z/appacademy (Stand 19.3.22).
5 vgl. Spitzer, Manfred: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, München 2014.
6 Doerne, S. 187.

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