Jäger, Andreas

Musikschulen in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen

Wandel des Berufsbildes Musikschullehrer am Beispiel des Unterrichtsmodells "Stark durch Musik"

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2012
erschienen in: üben & musizieren 2/2013 , Seite 52

Kooperation ist seit ein paar Jahren das Zauberwort für Musikschulen. Kooperationen geschehen vermehrt, weil es sinnvoll und der Wert kultureller Bildung nun im allgemeinen Bewusstsein angekommen ist. Aber sicher trägt auch ein gewisser Druck von außen dazu bei. Denn in Zeiten der Geldnot werden Musikschulen, die sich nicht nach außen öffnen und auf den (teuren und weniger öffentlichkeitswirksamen) Einzelunterricht zurückziehen, in ihrer Existenzberechtigung hinterfragt.
Hinzu kommt, dass die sich wandelnde gymnasiale Mittelstufe (G8/G9) und damit einhergehende spürbare Unterrichtsmehr­belastung der Kinder sowie der Ausbau von Ganztagsschulen ihre Spuren in den Musikschulen hinterlassen. Wer hier nicht aufpasst, hat schnell sinkende Anmeldezahlen in den traditionellen Unterrichtssegmenten zu verzeichnen. Durch Kooperationen lässt sich hier sehr gut gegensteuern.
Andreas Jäger ist Musikschulprofi: Gitarrenlehrer, stellvertretender Leiter der Stuttgarter Musikschule und Lehrbeauftragter an der Stuttgarter Musikhochschule. Nun hat er eine spannende Dissertation vorgelegt, in der es um das Thema Koopera­tion von Musikschule und Schule geht. An zentraler Stelle steht dabei das Stuttgarter Unterrichtsmodell „Stark durch Musik“, wobei Jägers Augenmerk sich auch auf den Wandel des Berufsbilds Musikschullehrer richtet.
Ausgehend von einem Arbeitsauftrag des Stuttgarter Oberbürgermeisters aus dem Jahr 2008, sich über die Förderung benachteiligter Kinder Gedanken zu machen, hat die Musikschule Stuttgart das Modell „Stark durch Musik“ entwickelt, das sich an Grund- und Hauptschulkinder der 1. bis 6. Klassen richtet. Die Kinder lernen in diesem für sie kostenlosen Modell vor allem in den Bereichen Musik und ­Bewegung sowie Stimme und Sprache.
Die Musikschullehrkräfte ha­ben eine (Zusatz-)Qualifikation in Elementarer Musikpädagogik und/oder Rhythmik. Das Instrumentalspiel scheint – anders als bei JeKi – keinen zentralen Platz zu haben. Der Unterricht findet im Tandem von Grund- oder HauptschullehrerIn und Musikschullehrkraft statt und ist erfreulicherweise überwiegend in den vormittäglichen Regelstundenplan integriert.
„Stark durch Musik“ scheint in Stuttgart ein Erfolgsmodell zu sein. Hier haben wir wieder die klassische Win-Win-Situation, jeder hat etwas von „Stark durch Musik“. Im Interesse der Kinder ist es ohnehin, im starken Interesse der Musikschulen ebenso. Aber auch für die Grund- und Hauptschulen bringt es Gewinn. Denn dank solcher Kooperationen holt man sich große musikalische und musikpädagogische Kompetenz in die Schule. In den Stuttgarter Grundschulen wird, so belegt Jäger, Musikunterricht ansonsten zu 74 Prozent fachfremd unterrichtet, in anderen Kommunen wird es nicht wesentlich anders sein.
Stuttgart ist also auf einem sehr guten Weg. Das Unterrichts­modell ist fest verankert, die Kooperationspartner sind zufrieden, die Kinder mit Sicherheit auch. Und dass man solche Programme nicht gegen äußere Widerstände oder ohne finanzielle Unterstützung stemmen muss, sondern den Arbeitsauftrag direkt vom OB erhält, der dann auch die finanzielle Rückendeckung sicherstellt, ist sicher ein großes Glück. Stuttgart ist eben die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, wo Musikschule und Musikschulförderung seit je großgeschrieben wird.
Die Ergebnisse aus dem Untersuchungsteil zum sich verändernden Berufsbild Musikschullehrer verblüffen nicht. Ein wichtiges Resultat Jägers ist, dass Musikschullehrkräfte grundsätzlich in der Mehrheit offen für Kooperationsmodelle mit Großgruppen- und Klassenunterricht sind. Sie sind musikalisch und fachdidaktisch bestens für Einzel- und Kleingruppen gerüstet. Es fehlt ihnen allerdings das nötige Know-how sowie die Unterrichtspraxis mit großen Unterrichtsgruppen. Jäger entwickelt aus dieser Einsicht heraus Fragen und Konsequenzen für die Aus- und Fortbildung. So hinterfragt er etwa die Aufnahmeprüfungen an Musikhochschulen, in denen die künstlerische und musikwissenschaftliche Kompetenz zu stark, meist ausschließlich, be­wertet werden. Er regt zudem an, den Blick auf ein Kombistu­dium „Lehrer für Grundschul- und Inst­rumentalpädagogik“ zu richten. Dieser wäre dann der ideale Pädagoge für „Stark durch Musik“ oder andere Kooperationskonzepte.
Jägers Buch ist ausgezeichnet. Es macht Mut, gibt gute Beispiele für die musikpädagogische Arbeit vor Ort und vermittelt für die Praxis Hilfestellungen.
Uwe Sandvoß