Goltz, Maren
Musikstudium in der Diktatur
Das Landeskonservatorium der Musik/die Staatliche Hochschule für Musik Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 – 1945
Lange Zeit galt das Leipziger Konservatorium als ein vom Nationalsozialismus unberührter Ort, der im „Dritten Reich“ ein weitgehend ideologiefreies Inseldasein führte. Eine Legende, mit der die Musikwissenschaftlerin Maren Goltz in ihrer Dissertation aufräumt. Mit akribischer Genauigkeit hat sie die oft spärlichen Quellen ausgewertet und aus ihnen ein etwas anderes Bild zusammengesetzt.
Denn ganz unberührt von der NS-Gesinnung blieb die Hochschule nicht. Ihr Gründer Felix Mendelssohn Bartholdy wurde zur persona non grata, Büsten im Konzertsaal und in der Vorhalle des Konservatoriums wurden entfernt, in Publikationen tauchte Mendelssohns Name nicht mehr auf, selbst aus der Gründungsgeschichte wurde er getilgt. Aber auch Lehrende jüdischer Herkunft spürten den politischen Gegenwind, so etwa der Dozent und Komponist Günter Raphael. Obwohl das Landeskonservatorium Anfang der 1930er Jahre noch eine private Institution war, für die das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ gar nicht hätte angewendet werden müssen, wurde Raphael seiner jüdischen Wurzeln wegen im Dezember 1933 gekündigt, sein Name verschwand aus Lehrplänen und Zeugnissen.
Bei all dem zeigt sich Goltz als detailgetreue Chronistin. Sie berichtet, wie die Werke jüdischer Komponisten nach und nach aus Unterrichtsplänen und Konzertprogrammen verdrängt wurden, wie immer mehr Dozenten der NSDAP beitraten und der Einfluss des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes wuchs. Denn auch unter den Studierenden gewann die NS-Ideologie Anhänger. So stellte etwa der hochbegabte Helmut Bräutigam seine Kunst in den Dienst des Regimes, und Maren Goltz widerspricht Stimmen, die in Bräutigam bloß einen Pragmatiker sehen wollen, der sich mit den Gegebenheiten arrangierte: „Unter Bräutigams maßgebendem Einfluss griffen die ideologische Erziehungsarbeit, die Semesterappelle […] in die grundlegende Struktur des Landeskonservatoriums ein“.
Im zweiten Teil befasst sich Goltz mit den Folgen der Verstaatlichung des Konservatoriums 1941, mit dem Umgang mit nichtarischen Studenten, den Veränderungen in der Administration und den Folgen des Krieges und der Bombentreffer. Auch hier geht sie mit detektivischem Eifer vor und bietet KennerInnen der Materie immer wieder neue Erkenntnisse. Ein direktes Profitieren der Hochschule von ehemals jüdischem oder im Krieg erbeutetem Besitz lasse sich nicht nachweisen, schreibt Goltz in ihrem Fazit, andererseits gebe es auch keine Beispiele für offenen oder geheimen Widerstand.
Aber nicht auf Verurteilung ist Maren Goltz aus, vielmehr auf eine neutrale, wissenschaftlich fundierte Darstellung der Ereignisse, die die historischen Gegebenheiten und Zwänge nicht unberücksichtigt lässt.
Irene Binal