Kranefeld, Ulrike / Johannes Voit (Hg.)

Musikunterricht im Modus des Musik-Erfindens

Fallanalytische Perspektiven

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2020
erschienen in: üben & musizieren 3/2021 , Seite 58

Gleich der erste Beitrag dürfte zu den lesenswertesten Texten gehören, die in letzter Zeit über das Komponieren im Unterricht verfasst wurden: In seinem Grundlagentext legt Malte Sachsse die Problematik der auf das Musik-Erfinden bezogenen Begriffe der Kreativität und der Neuheit offen. Er untersucht Begründungsmuster des Musik-Erfindens und warnt vor der Gefahr, Normen spätmoderner Gesellschaften unhinterfragt zu etablieren, die von „Kreativindus­trie“ und dem Zwang der (Selbst-) Erneuerung geprägt seien. Aus dieser sozialkritischen Perspektive fordert der Autor, sich der Bildungsrelevanz sowie der Ziele und Gründe des Erfindens von Musik im Musikunterricht zu vergewissern und dabei die Kategorie des Neuen nicht überzustrapazieren.
Ulrike Kranefeld (TU Dortmund) und Johannes Voit (Uni Bielefeld), die den Band herausgegeben haben, zeichnen verantwortlich für das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „ModusM“. Mit Hilfe von Fallanalysen werden Interaktions- und Kommunikationsstrategien derjenigen untersucht, die im Rahmen von Musikunterricht an Komposi­tionsprozessen beteiligt sind.
In sieben Beiträgen werden Teilprojekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten erläutert. In ihrem Aufbau ähneln sich die durchweg ansprechenden Texte darin, dass sie zunächst den theoretischen Hintergrund darstellen, ein Fallbeispiel (selten zwei) präsentieren und ein Fazit ziehen oder einen Ausblick formulieren. Untersucht werden die Perspektiven von LehrerInnen und SchülerInnen auf Komposi­tionsprozesse sowie deren Vorstellung von „Komponieren“ und ihr Gebrauch des Begriffs. Die Arbeit in Gruppen wird ebenso thematisiert wie der Spagat zwischen Instruieren und Raumgeben beim Einstieg ins Komponieren und während des Prozesses. Zudem gerät die Vielschichtigkeit der Bedeutung digitaler Medien und Instrumente in den Blick.
Die Untersuchungen basieren auf Interviews mit Lernenden, Videos von Unterrichtssequenzen, Bildschirmdarstellungen im Fall der Verwendung digitaler Medien sowie Portfolios. Letzteres Instrument, das mehr als bloß Skizzen- oder Lerntagebuch ist, wird aus kunstpädagogischer Perspektive vorgestellt und als Lernmedium in kompositionspädagogischen Kontexten empfohlen. Diesen Beiträgen geht ein Text von Ulrike Kranefeld zur fallanalytischen Methodik voran, in dem erläutert wird, wie z. B. aus erstelltem Videomaterial Szenen ausgewählt, warum sie zur Schlüsselszene erklärt werden und worauf sich der analytische Blick richtet.
Auf die schulische Unterrichtspraxis könnten sich die Formate der Aus- und Weiterbildung positiv auswirken, deren Entwicklung im Rahmen des Projekts geplant ist. Mit großem Gewinn ließen sich die hier vorliegenden Zwischenergebnisse auch auf außerschulische Unterrichtssituationen übertragen, in denen Musik erfunden wird.
Matthias Schlothfeldt