Leinen-Peters, Nora / Helene Niggemeier

Musinc – Music inclusive

Hochschule für Musik und Theater Leipzig: Ein inklusiver Musikkurs für Menschen zwischen sechs und 18 Jahren

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Online-Beitrag 11

Für die Vision einer inklusiven Gesellschaft, die in Deutschland ein gesellschaftliches sowie politisches Ziel darstellt und gesetzlich verankert ist, sind Veränderungen auf der individuellen, strukturell-organisationalen, systembezogenen und gesellschaftlichen Ebene notwendig.[1] Allen Menschen soll das Recht auf (ästhetische) Bildung und künstlerische Entfaltung ermöglicht werden.[2]

Auch der Verband deutscher Musikschulen vertritt die Leitidee einer inklusiven Gesellschaft, wie in der Potsdamer Erklärung 2014 festgesetzt wurde. Das Ziel einer inklusiven Musikschule ist demnach eine „Musikschule für alle“, die als Zielgruppen „Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Erwachsene und Senioren mit jeweils spezifischen Bedürfnissen“ bis hin zu Hochbegabten in den Blick nimmt.[3] Die Umsetzung dieser Ziele erfordert MusikpädagogInnen, die Gruppen mit sehr diversen Bedürfnissen musikalische Teilhabe ermöglichen und die keine Berührungsängste in der musikpädagogischen Begegnung mit unterschiedlichen Lebenswelten haben. Musikhochschulen sind in der Verantwortung, Studierenden entsprechende Lehrerfahrungsräume zu ermöglichen.
Diesem Auftrag folgend, hat der Fachbereich Elementare Musik- und Tanzpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig die Lehrpraxisangebote, die zuvor Kinder, Jugendliche, Erwachsene und hochaltrige Menschen umfassten, erweitert und im Sommersemester 2022 einen inklusionsorientierten Musikkurs für Menschen zwischen sechs und 18 Jahren etabliert. Dieser ermöglicht Studierenden der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik, der Schulmusik (insbesondere des Lehramts Sonderpädagogik) und der Instrumental- und Gesangspädagogik Lehrpraxiserfahrungen in diesem Feld. Der Kurs wurde über die Leipziger Zeitungen und Schulen öffentlich beworben. Die hohe Nachfrage am Kurs spiegelt den Bedarf an Angeboten dieser Art wider. Schnell waren die zehn Plätze vergeben, inklusionsorientierte musikalische Freizeitangebote sind in Leipzig und im Umland bisher eine Rarität. Nach einem Kennenlernnachmittag starteten die wöchentlichen Musikstunden.
Inhaltlich legt der Kurs den Fokus auf künstlerische Prozesse mit Bewegung und Klang, in denen sich die Teilnehmenden ihren Möglichkeiten entsprechend einbringen können. Die Unterrichtsstruktur knüpft an die Didaktik der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik an. Zudem wird der Unterricht von einem interdisziplinären Lehrendenteam forschend begleitet. So wurde in mehreren Forschungszyklen im Sinne der Grounded-Theory-Methodologie[4] ein didaktisches Modell entwickelt, welches der Forderung nach künstlerischer Entfaltung Rechnung tragend in besonderer Weise ästhetische und soziale Dimensionen gleichermaßen fokussiert. Die Studierenden werden hierbei partizipativ als PartnerInnen in die Gestaltung und Reflexion von methodisch-didaktischen Ansätzen einbezogen.
Dem Wunsch einiger Kinder nach Instrumentalunterricht entsprechend, entstanden weitere inklusionsorientierte Lehrpraxisfelder. Studierende der Instrumental- und Gesangspädagogik unterrichten nun teilweise Kinder im Einzelunterricht. Die Studierenden hatten zunächst die Möglichkeit, die Kinder im Gruppenunterricht kennenzulernen, um dann im Einzelunterricht entsprechend auf spezifische Bedürfnisse eingehen zu können.
Für das Gelingen eines solchen Kurses sind zeitliche und personelle Ressourcen besonders wichtig. So nimmt der Austausch mit Eltern oder anderen engen Bezugspersonen sowie die Vor- und Nachbereitung der Stunden und Absprachen im Lehrendenteam gerade zu Beginn viel Zeit in Anspruch. Eine Teamleitung bestehend aus zwei PädagogInnen hat sich zudem als sehr günstig erwiesen, um auf spezifische Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen zu können und Binnendifferenzierung in gutem Maße zu ermöglichen.
Erste AbsolventInnen teilen bereits ihre Expertisen an den hiesigen Musikschulen. Zudem ist inklusive Musikpädagogik ein festes Modul im neuen Bachelor Instrumental- und Gesangspädagogik/Elementare Musik- und Tanzpädagogik, der im Wintersemester 2023 an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig startet. Im Sommersemester 2024 soll dann die Lehrpraxis um weitere inklusive Ensembles erweitert werden.

[1] Dimai, Bettina: Innovation macht Schule. Eine Analyse aus der Perspektive der Akteur-Netzwerk Theorie, Wiesbaden 2012.
[2] United Nations: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/UDHRIndex.aspx (Stand: 08.05.2023).
[3] Verband deutscher Musikschulen: Musikschule im Wandel. Inklusion als Chance, https://www.musikschulen.de/medien/doks/vdm/potsdamer_erklaerung_inklusionspapier.pdf (Stand: 25.05.2023).
[4] Strauss, Anselm: Grundlagen qualitativer Sozialforschung, München 1998.