Prokofieff, Serge
Musiques d’enfants op. 65 für Klavier
hg. mit einem Vorwort und Hinweisen für den Unterricht von Monika Twelsiek
Nach Wanderjahren in den USA und im westlichen Europa sehnte sich Serge Prokofieff nach der russischen Heimat zurück. Den Sommer 1935 verbrachte er mit seiner Familie in der Künstlerresidenz Polenovo südlich von Moskau, wo er an seinem Ballett Romeo und Julia arbeitete, aber auch viel Zeit mit seinen beiden Kindern verbrachte. Davon inspiriert komponierte Prokofieff eine Folge kleiner Klavierstücke für die Jugend: „Meine alte Liebe zur Form der Sonatine half mir, den echten kindlichen Ton zu finden. Bis zum Herbst hatte ich ein Dutzend solche Stücke beisammen…“
Inhaltlich bildet ein Tageszeitenbogen den Rahmen dieser Musiques d’enfants: Er spannt sich von den Naturimpressionen des „Morgen“ bis hin zum „Abend“, gefolgt von einem poetisch betitelten „Auf den Wiesen geht der Mond spazieren“. Bunt geht es dazwischen zu. Wechselnde Gemütslagen werden geschildert: Zufriedenheit beim „Spaziergang“, Selbstzweifel in „Repentirs“, Fröhlichkeit beim „Fangen spielen“ wie in den tänzerischen Nummern „Tarantelle“ und „Walzer“, wobei in Letzterem die Ballettmusik zu Romeo und Julia herübergrüßt. Ein leicht grotesker „Marsch“ fehlt nicht und ein pianistisches Kabinettstückchen ist der „Festzug der Heuschrecken“.
„Kindlicher Ton“: Prokofieff verschmäht es nicht, gelegentlich auf altbekannte Begleitmuster wie Albertibässe und Dreiklangsbrechungen zurückzugreifen, bietet jedoch auch Originelles wie farbig eingesetzte Cluster („Der Regen und der Regenbogen“). Durchsichtig, manchmal bis zur Zweistimmigkeit reduziert ist das Satzbild, während die beiden Hände im Wechsel von Melodiestimme und Begleitung gleichberechtigt behandelt werden.
Auf Ansprüche verzichtet der Komponist dabei nicht. Die Stücke wenden sich an junge PianistInnen, die in Technik und musikalischer Auffassungsgabe fortgeschritten sind. Gefordert werden Über- und Ineinandergreifen der Hände, weite Sprünge, schnelle Registerwechsel und extreme Tonlagen. Die Aufmerksamkeit beim Lesen des Notentexts ist durch häufige Wechsel zwischen Violin- und Bassschlüssel herausgefordert. Und auch die Harmonik bietet immer wieder die für Prokofieff so typischen Überraschungen. Was in kindlich naivem C-Dur beginnt, gerät unversehens auf Seitenwege, oder einer d-Moll-Eröffnung folgt brüsk, eigentlich nur durch Versetzungszeichen bewirkt, eine Des-Dur-Variante.
Die Veröffentlichung dieser „Kinderstücke“ im Rahmen der Schott Student Edition stuft sie auf einer Skala von 1 bis 5 unter 3, also als mittelschwer ein. Die als Klavierpädagogin erfahrene Monika Twelsiek sorgt als Herausgeberin nicht nur für ein instruktives Vorwort, sondern gibt auch nützliche Anregungen, wie Prokofieffs Kompositionen im Klavierunterricht mit geeigneten Vorübungen erarbeitet werden können.
Gerhard Dietel