Cerachowitz, Claudia

Musizieren – Zentrum des Musiklernens in der Schule

Modelle – Analysen – Perspek­tiven

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2012
erschienen in: üben & musizieren 4/2013 , Seite 55

Ausgehend von der These, dass im Fach Musik „das praktische Musizieren noch immer nur einen geringen Stellenwert im Schulalltag“ hat, macht es sich die Autorin zur Aufgabe, das Musizieren als zentrale Umgangsweise mit Musik zu begründen und auf dieser Basis das Modell eines „zirkulären Musikunterrichts“, in dem alle anderen Umgangsweisen wie Hören, Nachdenken, Bewegen etc. um das Musizieren kreisen, zu entwickeln.
Ungeachtet dessen, dass der Vor­wurf einer musizierfeindlichen Unterrichtspraxis nicht ganz berechtigt erscheint, da Musizieren in vielen Unterrichtsmodellen be­reits eine zentrale Stellung einnimmt (was die Autorin anhand einer sehr systematischen und sorgfältigen Analyse verschiedener musikdidaktischer Konzepte sowie Modelle selbst belegt), ist es ein großes Verdienst dieser Arbeit, das Musizieren nicht einfach als wichtigste Umgangsweise zu „setzen“, sondern aus bildungstheoretischer, lerntheoretischer, musik­ästhetischer, musikpsychologischer sowie systemisch-konstruktivistischer Per­spektive jenseits diffuser Transfereffektbeschwörungen zu begründen.
Mit der Zielformulierung einer „Verbesserung des Musiklernens in der Schule“ ist dabei nicht allein die Weiterentwicklung musizierpraktischer Fähigkeiten gemeint, sondern die Optimierung des Musikverstehens, welches nicht-musizierende Umgangsweisen mit Musik selbstverständlich einschließt, diesen allerdings innerhalb des Musikunterrichts eine nachrangige Posi­tion zuweist.
Die umfassende und weit reichende „Rundumschau“ nach möglichen Begründungen für das Musizieren als Zentrum des Musiklernens beantwortet zweifellos die Frage, warum Musizieren wichtig ist, um Lernprozesse in Gang zu setzen und musikalisch-ästhetische Bildung anzubahnen, begründet aber nicht, warum das Musizieren ausgerechnet im Mittelpunkt des Musikunterrichts stehen sollte. Als entscheidender Aspekt wird die „Multisinnlichkeit“ des praktischen Musizierens angeführt, die Hören, Sehen und Spüren von Musik impliziert. Auch wenn unmittelbar einleuchtet, dass Musizieren multisensorische Fähigkeiten erfordert und die Konzentrationsfähigkeit in Bezug auf das Musiklernen befördert, so erscheint der daraus abgeleitete normative Schluss auf die Zentralposition des Musizierens deshalb nicht restlos überzeugend, weil andere Umgangsweisen, z. B. das Hören von Musik, in der Arbeit nur marginal beleuchtet und von vornherein als weniger effektiv angesehen werden.
Die engere Verzahnung von Schul­musik und Instrumental­pädagogik im schulischen Musikunterricht als eines von zehn Postulaten eines zirkulären Musikunterrichts, welches zudem eine vor diesem Hintergrund neu zu konzipierende Lehrerbildung erfordern würde, stellt zwar eine logische Konsequenz der zentralen Position des Musizierens im Musikunterricht dar, wirft jedoch angesichts der vielerorts nicht ganz unproblematischen Stellung des Fachs Schulmusik viele Fragen auf. Wohl geht es der Autorin nicht um die Substitution des schulischen Musikunterrichts durch Instrumentalunterricht (oder umgekehrt); dennoch werden mögliche Probleme nur ansatzweise diskutiert.
Des Weiteren erscheint die Forderung eines „aufbauenden“ Prinzips mit dem Modell eines zirkulären Musikunterrichts nicht wirklich kompatibel zu sein. Das aufbauende Prinzip kann sich höchstens auf den Aufbau inst­rumentaler und vokaler Fähigkeiten beziehen, nicht aber auf andere Umgangsweisen, die um das Musizieren kreisen sollen, was der Vorstellung von einem sequenziellen Lernen widersprechen würde.
Die sehr gründliche Untersuchung von musikdidaktischen Konzepten und Modellen vor dem Hintergrund der Frage nach dem Stellenwert des praktischen Musizierens deckt deutliche ­Lücken und Ungereimtheiten in diesen auf. Somit trägt die Arbeit durchaus dazu bei, die didaktische Relevanz des praktischen Musizierens neu zu bedenken. Allerdings wäre eine differenziertere Entfaltung dessen, was mit praktischem Musizieren konkret gemeint ist, wünschenswert gewesen, wenn man ihm schon eine solch zentrale Stellung im Musikunterricht angedeihen lässt.
Martina Krause