Lenhof, Horst
„Nicht besser kann man in den Geist der alten Chorkunst eingeführt werden“
75. Todesjahr des Chorkomponisten und -pädagogen Erwin Lendvai (1882-1949)
Dem Chorkomponisten und Chorpädagogen Erwin Lendvai gelang es in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wie kaum einem Zweiten, die musikalischen Bedürfnisse der großen deutschen Sängerbünde – Deutscher Sängerbund (DSB) und Deutscher Arbeiter-Sängerbund (D.A.S) – nach neuer und wiederentdeckter Musik bzw. nach neuen Strömungen in der Chorkultur zu erfüllen. Neuland betrat Lendvai mit den beiden von ihm herausgegebenen Anthologien Schola cantorum – Sammlung klassischer gemischter a cappella Chöre in Form einer systematischen Chorschulung (1927) und Der polyphone Männerchor – Sammlung originaler und bearbeiteter Vokalwerke aus drei Jahrhunderten (1928). „Nicht besser kann man in den Geist der alten Chorkunst eingeführt werden“, hieß es 1929 in einer Rezension.1 So wurde er schon bald zu einem der gefeiertsten Komponisten innerhalb der Amateurchorbewegung und einem der führenden Chorpädagogen seiner Zeit. Nur aufgrund der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde sein Aufstieg jäh gestoppt.
Erwin Peter Lendvai wurde am 4. Juni 1882 in Budapest geboren. Nach der allgemeinen Hochschulreife begann er 1901 ein Studium an der Königlichen Landes-Musikakademie in Budapest (heute Franz-Liszt-Musikakademie). Hier lernte er bedeutende Komponisten und Pädagogen kennen wie Béla Bartók und Zoltán Kodály. Auf Empfehlung von Giacomo Puccini ging er 1906 nach Berlin. Für seine musikpädagogische Entwicklung wurde seine Zeit als Lehrer an der Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus von Émile Jaques-Dalcroze in Hellerau 1913/14 wichtig. Von 1918 bis 1922 hatte er eine Lehrtätigkeit als Kompositionslehrer am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium inne, wo wichtige Förderer für ihn eintraten wie Hugo Leichtentritt und Leo Kestenberg. Von 1923 bis 1925 wurde eigens für ihn von Fritz Jöde an der Volksmusikschule Hamburg ein „Lehramt für ‚musikalische Handwerkslehre‘ und Chorgesang“ eingerichtet. 1935 emigrierte Lendvai zunächst in die Schweiz und 1939 nach Großbritannien, wo er in London nach einem Schlaganfall am 21. März 1949 als namenloser Musiker verstarb und in Vergessenheit geriet.2
1 Rezension zu Schola cantorum in Schweizerische Musikzeitung und Sängerblatt Chronique des Chanteurs am 1. Juni 1929.
2 zu Lendvais Biografie und seiner Bedeutung in der Weimarer Republik: Lenhof, Horst: Erwin Lendvai (1882-1949) und sein Beitrag zur Reform des Laienchorwesens in der Weimarer Republik, Diss. phil. Universität Würzburg 2016, https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/19181/file/lenhof_horst_erwinlendvai.pdf (Stand: 5.8.2024).
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2024.