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Herbst, Sebastian

„Nicht tadip, sondern plim“

Instrumentalunterricht an den Grenzen des verbalsprachlich Vermittelbaren

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , Seite 16

„Diese Gruppenbetonung, die trägt auch zu diesem rhythmisch federnden Eindruck bei, und das is’ ja das, wo­rüber wir grade gesprochen haben: dass das so’ne federnde Rhythmik hat und so’n bisschen raubtierartig dadurch wirkt.“ Wahrscheinlich hatten wir alle im Unterricht schon einmal das Gefühl, an den Grenzen des Sagbaren bzw. verbalsprachlich Vermittelbaren angekommen zu sein. Ein Blick auf diese Momente und vor allem auf die kreativen Bewälti­gungsstrategien der Lehrenden ist spannend und sehr lohnenswert, um eigene Muster zu reflektieren und neue Ideen für den Unterricht zu entwickeln.1

Das Spielen eines Instruments erfordert das Abrufen und Ausführen hochkomplexer motorischer Bewegungsabläufe. Dazu werden durch intensives Üben feinmotorische Steuerprogramme erstellt, die in Abgleich mit den gespeicherten Handlungskopien verfeinert werden und die Aktivierung der beteiligten Muskelgruppen in der richtigen Reihenfolge und Kraftdosierung bei einer räumlich-zeit­lichen Präzision von Millimetern und Millisekunden ermöglichen.2 Aber noch bevor eine bewusste Bewegung entsprechend ausgeführt werden kann, geht diesem Vorgang eine innere Vorstellung bzw. mentale Repräsentation als intendierte Klangvorstellung voraus,3 die im Einatmen während der Atempause oder besser gesagt Audiationspause aktiviert wird.4 Das erzeugte akustische Ergebnis kann dann im Anschluss mithilfe der vorausgegangenen mentalen Repräsentation überprüft werden, sodass die MusikerInnen durch die wiederholte Erfahrung von Bewegungsgefühl und Klang­vorstellung entsprechende Bewegungen mit einem bestimmten Klang verknüpfen. Auf diese Weise wird es möglich, das passende Bewegungsprogramm für den intendierten Klang auszu­wählen, abzurufen und auszuführen.5 „Man muss innerlich denken können, wie etwas klingen soll, bevor man es spielen kann.“6 Und dieses Denken erfolgt in gewisser Weise sprachlich.
Noch deutlich komplexer ist dieser Prozess des Erwerbs und Ausbaus instrumentaler Spielbewegungen im Inst­ru­mentalunterricht. Hier übernehmen die Lehrenden die Funk­ion, SchülerInnen bei der Erstellung feinmotorischer Steuerprogramme oder bei der Präzi­sion bereits vorhandener feinmotorischer Steuerprogramme zu begleiten bzw. entsprechende Lernprozesse zu initiieren. Dazu ist es notwendig, dass die Lehrenden und SchülerInnen die produzierten Klänge mit den eigenen mentalen Repräsentationen abgleichen und sich darüber austauschen. Zu den mentalen Repräsentationen gehören neben der Klangvorstellung als notwendige Bedingung einer bewussten und zielorientierten Bewegungsvorstellung auch die Bewegungsvorstellung als Abfolge von vielen einzelnen kleinen Bewegungen sowie die Selbstvorstellung, also der eigene emotionale Zustand.7
Der Austausch über die individuellen mentalen Repräsentationen der Beteiligten kann jedoch nur über einen kommunikativen Akt des Verbalen, Nonverbalen oder Musizierens erfolgen und stellt gleichermaßen eine Herausforderung für Lehrende und SchülerInnen dar. Dabei kommt es vor, dass Schü̈­lerInnen die ohnehin zu interpretierenden und meist sehr bildhaften assoziativen Beschreibungen ihrer Lehrpersonen nicht hinreichend nachvollziehen können, um sie schließlich in entsprechende feinmotorische Steuerprogramme zur Ausführung am Instrument übertragen zu können. Hinzu kommt, dass uns Lehrenden der bildliche Charakter dieser verblassten Metaphern oft gar nicht mehr bewusst ist.8

Sprechen über ­Klangvorstellungen

Betrachtet man die Sprache, mit der wir über Klangereignisse und somit auch über Klangvorstellungen sprechen, einmal genauer, so lässt sich erkennen, dass „kaum konventionalisierte sprachliche Ausdrücke zur Beschreibung von Klang zur Verfügung stehen“.9 Dies ist nicht verwunderlich, denn bei sinnlichen Wahrnehmungen gibt es „nichts Genaueres als das Phänomen selbst, das man sieht, hört, fühlt oder riecht“10 – und auch hier lassen sich individuelle Wahrnehmungsunterschiede vermuten.
In videografierten Klavierunterrichtsstunden zeigte sich dies sogar schon deutlich bei der Beschreibung von Dynamik, Notenwerten und Tonhöhen.11 Die Lehrenden drückten Dynamik im Verhältnis zur Dynamik eines Referenztons aus: Es könnte „ein bisschen lauter“ sein, jetzt ist es aber schon „ziemlich laut“, lieber wieder „ein wenig leiser“. Insgesamt ist es aber „ein bisschen zu wenig“ oder schon „zu viel“. Wir brauchen „mehr cis“, „das a ist wichtig“, aber „nicht mit Gewalt“. Ebenfalls wurde über Dynamik als Prozess gesprochen: Man kann die Dynamik „zurücknehmen“, in der Dynamik „zurückgehen“ und „nachlassen“, aber auch „zunehmen“, „steigern“ und „etwas hervorheben“. Ähnliches gilt für die Länge der Töne: „Das fis war zu kurz“, „du musst das fis viel länger halten“, aber auch „nicht übermäßig lang“. Jetzt ist es „zu lang“. Alle Töne sollen doch „gleich lang“ sein. Anders, aber nicht einfacher, verhält es sich mit der Beschreibung von Tonhöhen. Ganz selbstverständlich sprechen Lehrende von höheren und tieferen Tönen, setzen oben und unten bzw. hohe und tiefe Töne in Verbindung mit rechts und links auf der Klaviatur und beschreiben die Klangfarbe synästhetisch als hell bzw. dunkel.

1 Leider kann auf körpersprachliche Aspekte aus Platzgründen nicht eingegangen werden.
2 vgl. Eckart Altenmüller/Hans-Christian Jabusch: „Neurowissenschaftliche Grundlagen des Musizierens“, in: Barbara Busch (Hg.): Grundwissen Musikpädagogik. Ein Wegweiser für Studium und Beruf, Wiesbaden 2016, S. 49-51.
3 vgl. Wilfried Gruhn: „Audiation – Grundlage und Bedingung musikalischen Lernens“, in: Wilfried Gruhn/Peter Röbke (Hg.): Musik Lernen. Bedingungen – Handlungsfelder – Positionen, Innsbruck 2018, S. 95.
4 Wilfried Gruhn, in: „Musik als Muttersprache. Musikalisch denken und sprechen lernen als Aufgabe des Inst­rumentalunterrichts. Wolfgang Rüdiger im Gespräch mit Wilfried Gruhn, in: üben & musizieren 2/2005, S. 31.
5 vgl. Renate Klöppel: Die Kunst des Musizierens. Von den physiolo­gischen und psychologischen Grundlagen zur Praxis, Mainz 32003, S. 29-35.
6 Gruhn 2018, S. 105.
7 vgl. Johannes Klier: „Üben beginnt im Kopf“, in: Ulrich Mahlert (Hg.): Spielen und Unterrichten. Grundlagen der Instrumentaldidaktik, Mainz 1997, S. 132 f.
8 vgl. Ursula Brandstätter: „Metaphorisches Sprechen. Drei Interpretationsanalysen von Ludwig van Beethovens ,Appassionata‘ op. 57 im Vergleich“, in: Ursula Brandstätter/Martin Losert/Christoph Richter/ Andrea Welte (Hg.): Darstellen und Mitteilen. Ein Handbuch der musikalischen Interpretation, Mainz 2010. S. 34.
9 Hartmut Stöckl: „An den Grenzen des Sagbaren. Schreiben über Musik – Sprachliche Ressourcen der Klangbeschreibung“, in: Kodikas, Code Ars Semeiotica, Tübingen 2012, S. 155.
10 Peter Faltin: „Bedeutung ästhetischer Zeichen. ­Musik und Sprache“, in: Christa Nauck-Börner (Hg): ­Aachener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung, Band 1, Aachen 1985, S. 149.
11 Diese Transkription sowie die weiteren Transkriptionen zum Klavierunterricht sind entnommen aus: Sebastian Herbst: Sprache im ­Instrumentalunterricht. Eine Untersuchung über Inhalt und Funktion mündlicher Kommunikation im Klavierunterricht, Dortmund 2014.

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