Herbst, Sebastian

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 2/2021 , Seite 31

Unter Berücksichtigung einer von beschleunigtem Wandel geprägten Gesellschaft ist es unmöglich, im Rahmen eines zeitlich begrenzten Studiums alle aktuell und zukünftig notwendigen künstlerischen, didaktischen und wissenschaftlichen Inhalte für den Beruf der Musikschullehrerin bzw. des Musikschullehrers zu vermitteln. Die Frage, wie der Berufsalltag von Musikschullehrenden im Jahr 2040, 2050 oder 2060 aussehen wird und welche Anforderungen an die zukünftigen Lehrenden gestellt werden, ist nur zum Teil vorauszu­ahnen. Das vergangene Jahr zeigte nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Chan­cen von digitalen Formaten, in denen sich die Rolle der Lehrenden verändert hat und weiter verändern wird. Dass und inwiefern die (Mit-)Gestaltung digitaler Lernwelten mittlerweile selbstverständlich zu den Aufgaben von Lehrenden gehören (müsste), dürfte nun allen klar sein.
Aber nicht nur die Digitalisierung wird Veränderungen mit sich bringen. Betrachtet man beispielsweise die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung, ist festzustellen, dass die Lebenserwartung in den nächsten Jahren bei sinkender Geburtenrate steigt (Statistisches Bundesamt, 14. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung 2019). Die Bevölkerung wird älter und das wirkt sich auf die potenzielle Zielgruppe von Musikschulen aus.
Betrachtet man die Verteilung der Schülerinnen und Schüler nach Altersgruppen in VdM-Musikschulen, zeigt sich bereits von 2000 bis 2019 ein Anstieg von 1,4 Prozent an über 60-jährigen SchülerInnen, was rund 24000 Personen entspricht. Für Österreich ist dies durch die teilweise bestehende Altersbegrenzung an Musikschulen nicht direkt festzustellen. Die Zahlen der Bundesanstalt Statistik Österreich zur Teilnahme Erwachsener an nicht-formalen Bildungsaktivitäten geben aber einen Hinweis darauf, dass es sich auch in Österreich um eine wichtige Zielgruppe handelt: 41,3 Prozent der Befragten im Alter von 55 bis 64 Jahren haben in den vergangenen zwölf Monaten vor der Befragung (2016/17) an nicht-formalen Bildungsaktivitäten teilgenommen. Davon haben 50,8 Prozent an Kursen teilgenommen und 9,5 Prozent an Privatunterricht gegen Bezahlung. 34,2 Prozent gaben an, gewerbliche Bildungseinrichtungen wie die VHS besucht zu haben. Als wichtige Gründe dafür wurden die Erlangung von für den Alltag nützlichem Wissen und Fertigkeiten sowie die Erweiterung von Wissen und Fertigkeiten in einem interessanten Gegenstand genannt.
Ein ebenfalls stetig wachsendes Feld von Musikschulen sind die Kooperationen. Mit Blick auf die Statistik der VdM-Musikschulen (2019) zeigt sich, dass ein gutes Viertel der VdM-SchülerInnen aus Kooperationen stammen. Die allgemeinbildenden Schulen, insbesondere die Grundschulen, machen hier den größten Teil aus. Nach Schätzung der Konferenz der österreichi­schen Musikschulwerke (KoMu) sind immerhin auch ca. 10 Prozent der SchülerInnen in Schulkooperationen. Über Schulkooperationen kommt es in Musikschulen zu weiteren und vielfältigen Kooperationen, z. B. mit Kitas, Vereinen, Kirchen, Senioreneinrichtungen, Musiktheaterstätten oder mittlerweile auch mit Jugendstrafvollzugsanstalten.
Die in Alter, Niveau und Motivation äußerst heterogene Zielgruppe, die vielfältigen schulischen und außerschulischen Kooperationen sowie die unterschiedlichen Kooperationen mit dem regionalen Kulturleben stellen hohe Anforderungen an Musikschullehrende. Sie arbeiten täglich in einem sich stetig verändernden Berufsalltag, in unterschiedlichen Rollen und immer häufiger in interprofessionellen Teams. Hinzu kommen sicher die grundlegend im Beruf verankerte Doppelidentität als KünstlerIn und LehrerIn sowie die häufig anzutreffende Portfolio-Karriere der Lehrenden, die zur Rollenvielfalt beitragen.
Diese wenigen und sehr offensichtlichen Beispiele für Veränderungen im Berufsfeld Musikschule machen deutlich, dass nichts so beständig sein wird, wie der Wandel (siehe das Heraklit von Ephesus zugeschriebene Titelzitat) der ohnehin schon vielfältigen Rollen und Aufgaben von Musikschullehrenden. Die Assoziation des europäischen Musikhochschulverbands fasste die verschiedenen Rollen 2010 wie folgt: Musikschullehrkräfte sind KonzertmusikerInnen und künstlerisches Vorbild, PlanerInnen und OrganisatorInnen, KommunikatorInnen, VermittlerInnen, VerfechterInnen, NetzwerkerInnen und MitarbeiterInnen. Und schließlich sind sie reflektierende PraktikerInnen. Diese Rolle ist meines Erachtens besonders wichtig, da alle anderen Rollen als Rollen in unterschiedlichen Praktiken verstanden werden können und die ­reflexive Praxis sinnvollerweise Teil aller Praktiken sein sollte. Übung in der reflexiven Praxis kann Lehrenden dabei helfen, bei neuen und ungeahnten Anforderungen im beständigen Wandel handlungsfähig und zufrieden zu bleiben.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2021.