Mengler, Walter

Nur ein Taktschläger?

Versuch einer ­Wertschätzung zum 200. Geburtstag des Metronoms

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2015 , Seite 46

Es gehört zu den Phänomenen der Musikausübung, dass allein die Erwähnung des Begriffs “Metronom” die Gemüter von MusikerInnen in größte Aufregung versetzen kann. Die einen halten es für unverzichtbar, andere wähnen bei jedem Schlag den Untergang der musikalischen Fantasie; meist jedoch sind beide Meinungen in einer Person zu einer Art Hassliebe vereint. Untrennbar verbunden ist seine Geschichte mit zwei Namen: Ludwig van Beethoven (1770-1827) und Johann Nepomuk Mälzel (1772-1838), der weithin als Erfinder des Metronoms gilt. Gerne übersehen wird jedoch, dass die Erfindung des Taktschlägers mit einem Know-how-Diebstahl begann.

„Es ist dummes Zeug“, soll Beethoven gesagt haben, als ihm von der Erfindung eines Taktmessers berichtet wurde, „man muss die Tempos fühlen.“1 Einige Zeit später hatte er jedoch seine Meinung geändert und schrieb am 18. Februar 1818 zusammen mit Salieri in der Wiener Allgemeinen Musikalischen Zeitung: „Mälzels Metronom ist da! Die Nützlichkeit dieser seiner Erfindung wird sich ­immer mehr bewähren.“ In einem Brief an Schott 1827 berichtete er gar über den Erfolg einer Aufführung der 9. Sinfonie in London, „welches ich großentheils der Metronomisirung zuschreibe“.
Beethovens Verhältnis zum Metronom blieb immer zwiegespalten: Zeitweilig propagierte er öffentlich, dass man in Zukunft auf alle üblichen Tempoangaben wie Allegro, Andante etc. zugunsten von reinen Metronomzahlen verzichten könne (ein Gedanke, den er schnell wieder aufgab), andererseits hat er von seinen über 400 Werken nur 25 mit Metronomangaben versehen. Eine andere Fertigkeit des „kaiserlichen Hofmechanikus“ musste er allerdings mehr und mehr in Anspruch nehmen: Mälzel baute für Beethoven Hörrohre, was sicher nicht ganz unerheblichen Einfluss auf Beethovens Wertschätzung für das Met­ronom hatte.

Produkt der Franzö­sischen Revolution

Dass Anfang des 19. Jahrhunderts ein Gerät zum Messen von musikalischen Zeiteinheiten erfunden wurde und sich schnell verbreitete, ist kein Zufall: Der barocke Mensch lebte in festgefügten Hierarchien, vom Adel bis zum Bauernstand waren die Aufgaben und damit verbunden auch gewisse Wertigkeiten klar verteilt. Auch in der Musik spricht man von wichtigen und unwichtigen Zählzeiten, wobei der Begriff etwas ungenau ist: Alle Noten sind selbstverständlich wichtig, nur ihre Bedeutung für die Harmonik ist unterschiedlich. Da aber die Hervor­hebung durch Dynamik kaum möglich war, werden „wichtige“ Noten et­was verlängert, „unwich­tige“ dagegen etwas verkürzt. Diese Manier des „jeu inégal“ war mit dem unerbittlichen Ticken des Metronoms nur schwer vereinbar.
Mit der Französischen Re­volution änderte sich das Selbstverständnis des Menschen, gefordert wurde bekanntlich neben „liberté“ und „fra­ternité“ auch die „égalité“. Diese Sehnsucht nach Gleichheit manifestierte sich auch in der Musik der Romantik: Die „Wertigkeit“ einer Zählzeit trat zurück zugunsten von neuen harmonischen und dyna­mischen Bedeutungen, bei der jede Note die vorangehende an Länge (Gleichheit) zu erreichen versucht, bis hin zu den langen Bögen der „unendlichen Melodie“ bei Richard Wagner. Der Vorgang des Messens eines Wertes gewann folgerichtig an Bedeutung.
Einige Versuche waren bis dahin unternommen worden, ein Gerät zur Messung der Zeiteinheit beim Musizieren zu konstruieren, so unter anderen von Étienne Loulié im Jahr 1696. Alle gingen von der Annahme aus, dass nur ein Fadenpendel in der Lage sein könnte, langsame Bewegungen widerzuspiegeln – und das auch nur optisch. Ein wesentlicher Nachteil dieser Versuche war die Länge des Pendels und damit die Größe des Geräts: Manche Konstruktionen sollen einige Meter hoch gewesen sein. Erst mit der Entdeckung des umgekehrten Doppelpendels mit einem feststehenden und einem verschiebbaren Gegengewicht gelang es, einen langsam schwingenden Hebel auf engstem Raum unterzubringen.

1 Alexander Wheelock Thayer: Ludwig van Beethovens Leben, nach dem Original-Manuskript deutsch bearbeitet von Hermann Deiters, mit Benutzung der hinterlassenen Materialien des Verfassers neu ergänzt und he­rausgegeben von Hugo Riemann, 5 Bände, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1866-1908.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2015.