Herbst, Sebastian
Onlineunterricht: Anlass zur Sprachreflexion
Der Kommentar
Onlineunterricht ist Teil unseres Corona-Alltags geworden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Musik und Musizieren gibt uns und unseren SchülerInnen Kraft in schweren Situationen. Wir wollen den Kontakt zu unseren SchülerInnen nicht verlieren und ihnen ein Stück Alltag ermöglichen. Und viele von uns müssten ohne die Möglichkeit des Onlineunterrichts um ihre Existenz bangen.
Die plötzliche Notwendigkeit digitaler Alternativen lässt uns Chancen und Grenzen des Onlineunterrichts erfahren und zeigt uns, wie flexibel wir uns auf veränderte Situationen einstellen können – insbesondere dank der Lehrenden, Eltern und SchülerInnen, die sich Tag für Tag dieser veränderten und ungewohnten Situation stellen, ihre Erfahrungen teilen und häufig eigenes technisches Equipment für den Unterricht bereitstellen. Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich viele Musikschulen und Lehrende auf digitale Lehr-Lern-Formate eingestellt haben und wie viele Erfahrungswerte schon auf diversen Internetseiten geteilt wurden. Dazu gehören z. B. Fragen zur technischen Ausstattung, zur Software, zum Datenschutz sowie zum Umgang mit Verträgen.
Onlineunterricht gibt aber auch Anlass zur Reflexion über Sprache: Begrüßen, Quatschen, Fragen, Erklären, Zeigen, Diskutieren, Tanzen, Singen und Instrumentalspiel sind nun irgendwie anders. Gewohnte Kommunikationsstrukturen werden infrage gestellt und geben uns Anlass zur Reflexion von Routinen, deren Ergebnisse wir auch nach der Wiederaufnahme der Präsenzlehre nicht vergessen sollten. Dies möchte ich an vier Beispielen verdeutlichen:
Wir bemühen uns um eine möglichst störungsarme Kommunikation: „Hallo Nele, siehst und hörst du mich?“ So haben wir unsere SchülerInnen bis jetzt wahrscheinlich selten begrüßt. Bevor wir uns im Onlineunterricht der Beziehungsebene oder der musikalischen Arbeit zuwenden, stellen wir sicher, dass die Kommunikation möglichst störungsarm funktionieren kann. Sicher werden wir unsere SchülerInnen in der Musikschule demnächst wieder mit herzlicheren Worten begrüßen. Das Bemühen um eine störungsarme Kommunikation können wir aber beibehalten: „Siehst du mein Spiel oder steht der Notenständer im Weg?“ „Hörst du das so wie ich oder wie klingt es für dich?“
Wir begegnen uns wertschätzend: „Nein, nein, schau mal her. Ich zeig’s dir kurz.“ Lehrende unterbrechen das Spiel von SchülerInnen nicht selten durch Worte oder eigenes Spiel. Wenn im Unterricht dasselbe Instrument genutzt wird, greifen Lehrende teilweise regelrecht (r)ein. Onlineunterricht unterdrückt das reflexartige Eingreifen und Unterbrechen der Lehrenden, nicht zuletzt durch die nicht zu vermeidende Latenzzeit. Dauerhaftes Eingreifen – wenn auch nur verbal – würde eine Kommunikation online unmöglich machen. Der Umkehrschluss: Wir vereinbaren, wer wann spielt oder spricht, SchülerInnen bekommen ihre Spiel-, Rede- und Denkzeit, wir lassen sie ausspielen und aussprechen, sich korrigieren – und ganz wichtig: Wir hören ihnen zu.
Wir bemühen uns um Präzision: „Spiel mal von da nochmal!“ Mal eben etwas zeigen, einkreisen, vormachen ist online zwar möglich, jedoch weniger intuitiv. Schnell ist klar, dass Absprachen, Erläuterungen, Beschreibungen und Aufgabenstellungen präzise zu erfolgen haben. Andererseits sind Nachfragen und Missverständnisse vorprogrammiert. Wir merken online schnell, ob unsere SchülerInnen uns oder wir sie richtig verstanden haben. Wir formulieren bewusster, fragen nach, sichern uns ab, vermeiden ausschweifende Monologe. „Spiel von da nochmal!“ kann nützlich sein, andere Gesprächstechniken jedoch auch.
Wir treten in den Dialog: „Hier nimmst du den dritten Finger, den schreib ich dir dahin. Ach so, und diese Stelle übst du nochmal ganz besonders. Die kreise ich dir mal ein, ne? Die spielst du dann so wie ein Löwe – ich schreib dir Löwe hin.“ Schnell neigt man dazu, eine Notiz in die Noten der SchülerInnen zu schreiben, ohne Raum für Fragen und Diskussion zu geben. Aber für wen ist sie eigentlich gedacht? Auch wenn digital geteilte Bildschirme das Speichern und Drucken gemeinsamer Eintragungen erlauben, bitten wir online die SchülerInnen eher, Eintragungen selbst vorzunehmen. Das erfordert weitere Absprachen und gegenseitige Vergewisserung, sorgt aber auch dafür, dass die Eintragungen aus der Perspektive der SchülerInnen bewusster erfolgen, Fragen gestellt, Unklarheiten besprochen und diskutiert sowie Missverständnisse vermieden werden können. Wir treten in einen Dialog, in dem SchülerInnen und Lehrende gemeinsam Verantwortung übernehmen, Ideen einbringen, diskutieren und die für das Üben nützlichen Eintragungen durch die SchülerInnen selbst erfolgen.
Hoffen wir, dass wir bald wieder gemeinsam vor Ort musizieren können. Lassen Sie uns aber weiterhin sprachbewusst unterrichten.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2020.